Drei Jahre später organisierten die ehemaligen Absolventen des
Trainingsprogramms ein Klassentreffen. Es fand in dem Pavillon statt,
der in der Nähe des damaligen Übungsgelände lag. Schon während ihrer
Ausbildungszeit trafen sie sich dort öfters, um sich über ihre
Lernfortschritte auszutauschen oder auch einfach mal ein Schwätzchen zu
halten.
“Was
ist eigentlich mit Lampe? Kommt der noch?”, wollte die Ente Roberta
wissen. Nun war schon über eine halbe Stunde vergangen und der Hase war
immer noch nicht eingetroffen. “Oh sorry, ich vergaß völlig euch zu
sagen, dass sie Lampe nicht raus lassen!”, informierte das Eichhörnchen
Jack die anderen. “Letzte Woche hab ich ihn in der Klinik besucht. Es
geht ihm gar nicht gut!” Jack runzelte seine Stirn. “Wie konnte es
überhaupt so weit kommen?”, fragte Roberta mit leiser Stimme und hatte
dabei einen traurigen Gesichtsausdruck.
Jack beugte sich ein wenig nach vorn: “Lampe hatte ja bereits während
unserer Ausbildung immer einen depressiven Touch. Als er dann in der
praktischen Prüfung im Schwimmen eine Fünf und beim Fliegen sogar eine
Sechs bekam, gingen bei ihm die Lichter aus. Er fühlte sich als totaler
Versager und sah alles nur noch negativ. Das wurde mit der Zeit immer
schlimmer. Als ich ihn besuchte, saß er im Garten der Klinik zwischen
zwei Bäumen auf dem Moos. Er starrte mich nur apathisch an und brummte
irgendwas vor sich hin, wie ‘Bringt doch alles nichts!’ Dann fing er auf
einmal an zu graben. Auf meine Frage, warum er das machen würde, meinte
er nur, er suche nach dem Kristall - irgend so ein magischer Stein, der
ihm helfen sollte, aus seiner Misere rauszukommen.”
“Das hört sich wirklich nicht gut an!”, meinte Roberta besorgt. “Ich
denke, Lampe ist einfach das Opfer unserer kalten Leistungsgesellschaft
geworden.” “Das sehe ich auch so!”, stimmte Jack zu. “Wir sind zwar
nicht so abgedreht wie Lampe, aber dieser ganze Karrierezirkus entmutigt
auch mich so langsam immer mehr. In meinem Job komme ich mir nur noch
vor wie eine Nummer.” “Wenn du was erreichen willst, dann musst du eben
was leisten!”, widersprach ihm die Qualle Ivan. “Dazu braucht man einen
eisernen Willen, Disziplin und Teamfähigkeit.” “Das glaubst du doch wohl
selbst nicht!”, unterbrach ihn Jack und schüttelte mit dem Kopf. “Ich
denke eher, dass für einen guten Posten ganz andere Qualitäten
erforderlich sind: Nach oben kriechen und gleichzeitig nach unten
treten, ein wenig herumschleimen hilft sicher auch. Und wenn es dann
immer noch nicht geklappt hat, kann man ja noch die maßgeblichen Leute
bestechen.” “Was redest du für einen Müll?”, reagierte Ivan entrüstet.
“Du bist ja bloß neidisch!” “Auf dich?”, rief Jack spöttisch. “Nur weil
du dich hochgeschleimt hast. Du denkst wohl, du wärst hier der
Schnirkelkönig, oder was?”
“Jungs,
haltet den Ball flach!”, versuchte der Adler Makani die Kontrahenten zu
besänftigen. “Das bringt doch nichts, wenn ihr euch gegenseitig an die
Gurgel geht. Außerdem wollte ich mir von euch nicht den netten Abend
versauen lassen. Lasst uns lieber über alte Zeiten quatschen, einen
trinken und Spaß haben.” “Ich trinke keinen Alkohol!”, sagte das
Eichhörnchen. “Letztes Jahr bin ich zu den Mormonen konvertiert und lebe
seitdem abstinent.” Ente Roberta schaute verwundert: “Du und abstinent?
Früher hast du doch immer …!” Sie kam gar nicht dazu, ihren Satz zu
Ende zu sprechen, weil sie von Jacks lautem Gelächter unterbrochen
wurde: “Ich hab dich nur verarscht! Du hättest mal dein Gesicht sehen
müssen. Hast du wirklich geglaubt, ich wäre zu den Mormonen
übergetreten?” Jacks fing erneut an zu lachen und steckte die anderen
damit an. Nun war das Eis gebrochen. Für den Rest des Abends hatten die
früheren Ausbildungskollegen ihren Spaß.
Nur Makani wirkte zwischendurch immer wieder ziemlich ernst. Jack
bemerkte seine nachdenkliche Stimmung: “Was ist los, Makani? Du machst
so einen gedankenverlorenen Eindruck!” “Ach, ich grüble schon seit
Wochen darüber nach, welchen Sinn das alles machen soll, jeden Tag
aufzustehen, um einem Job nachzugehen, der total öde ist. Vor kurzem war
ich bei einem Therapeuten, weil ich mich völlig überlastet fühlte und
den Eindruck hatte, langsam aber sicher in Richtung Burnout zu steuern.
Nach diesem Gespräch wurde mir klar, dass der Grund für meine mangelnde
Energie nicht Überlastung ist, sondern genau das Gegenteil. In
Wirklichkeit ist mir langweilig! Ich habe das Gefühl, völlig unter
meinen Möglichkeiten zu bleiben und am Eigentlichen vorbeizugehen. Im
tiefsten Inneren möchten ich etwas anderes leben, weiß aber nicht, wie
ich das anstellen soll. Die vielen Sachzwänge halten mich davon ab, das
zu tun, was ich mir wünsche.”
“Das Leben ist nun mal so!”, warf Jack ein. “Nur wenige haben das
Glück, das tun zu können, was sie wollen. Uns wird wohl nichts anderes
übrig bleiben, als uns mit dem zu begnügen, was wir haben. Um überhaupt
einen Job zu haben, müssen wir nun mal die Erwartungen der maßgeblichen
Leute erfüllen.” Makani sah das völlig anders: “Damit gebe ich mich
nicht zufrieden! Ich erwarte mehr vom Leben. Morgen habe ich einen
Termin bei einem Coach, der im großen Wald lebt. Ich hoffe, dass der mir
weiterhelfen kann.” Makani sah Jack an, dass dieser keine Lust hatte,
weiter darauf einzugehen. Deshalb beendete er das Thema, prostete seinen
Freunden zu und alle erlebten zusammen noch einen lustigen Abend.
Fotos:
“Wasser ist noch kalt” © : Ulrich Velten / PIXELIO
“Fressendes Eichhörnchen” © : Marlene B. (me) / PIXELIO
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