Dienstag, 3. Mai 2022

Wer bin ich?

Wer bin ich? Die Frage stelle ich mir immer wieder und wieder. 

Ich wurde in der Hauptstadt der Westukraine, einer schönen und kulturrreichen Stadt der Löwen, Lwiw geboren und bin auch dort aufgewachsen. Lwiw ist nicht nur für seinen Kaffee, Schokolade und Bier bekannt, sondern auch für die vielseitige Architektur aus den Epochen Renaissance, Barock, Klassizismus und Jugendstil, sowie auch eine vielseitige Kultur. Lwiw war im Laufe der Jahre meistens von den dritten Parteien besetzt: Polen, Ostpreußen, deutscher NS-Regierung und der Sowjetunion und gehörte nur am Anfang sowie in der neusten Geschichte der Ukraine alleine. Als kulturelles Zentrum war die Stadt auch der Geburtsort der nationalistischen ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung UPA des 20. Jahrhunderts, geleitet von Bandera.

Meine Mutter kommt aus Russland, aus dem Ural. Sie hat meinen Vater in Sankt-Petersburg bei ihrem ersten Arbeitsprojekt kennengelernt. Sie haben geheiratet und sind beide in die Ukraine zu der Mutter meines Vaters gefahren. Während der Zeiten der Sowjetunion war die Politik des Staates, das ganze Volk zu durchmischen: Die Ukrainer wurden nach Moskau oder noch mehr nach Osten fürs Studium oder für die Arbeit geschickt, die Russen dagegen kamen oft in die Ukraine. Das Ziel der Politik war eine homogene sowjetische Nation zu erschaffen.

Die Verwandten meiner Mutter wohnten später im Süden des europäischen Landes, ein paar Stunden entfernt von der Krim‘schen Halbinsel am Asov’schen Meer. Dort verbrachten wir unsere Sommerferien.

„Wo wohnst du jetzt, Mädchen?“ – fragten die Nachbarn meine Mutter.

„In Lwiw.“

„Oh, du hast wohl einen Banderеn geheiratet.“ 

„Scheint so.“ – lächelte meine Mutter zurück.

In Russland waren wir die nationalistischen Banderen.



Im Laufe der Jahre offenbarte uns meine Oma in der Ukraine, dass sie eine Deutsche sei. Sie hat es jahrzehntelang niemanden erzählt. Sie hatte Angst. Sie sprach weder von Krieg, von dem Arbeitslager in Russland, noch von ihrer großen Familie, die sie mit 17 Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Bis zu einem Tag: Nach 55 Jahren Stille hat sie ihre Familie in Deutschland gefunden. Wäre sie früher auf die Suche gegangen, hätte sie noch ihre Mutter lebend gesehen…

Ab diesem Zeitpunkt änderte sich unser ganzes Leben. Die Nachricht über diese Offenbarung erreichte innerhalb von wenigen Tagen jeden aus unserer Umgebung.

Ein paar Tage später wurde ich von einigen Mitschülern mit „Heil Hitler!“ begrüßt.

Dann kamen wir nach Deutschland… 

Aus Solidarität für mein Heimatland bin ich mehreren ukrainischen Vereinen beigetreten. Ich merkte jedoch schnell, dass ich die Werte dieser Gruppen nicht vertreten konnte. Sie sprachen öfter verachtend über Russen, aber wie konnte ich es mir anhören, wenn meine Mutter aus Russland kam. Sie kritisierten mich dafür, dass ich auf Deutsch und nicht Ukrainisch geschrieben habe. Sie lachten über meinen Pazifismus und über meinen Aufruf, die Mehrsprachigkeit als Talent und Bereicherung, anstatt als ein Hindernis und einen Diskriminierungsvorwand zu sehen. Ich verließ die Gruppe, ohne zurückzublicken.

Wer bin ich nun? 


Dr. Julia Tschirka

Fotografie auf IG: https://www.instagram.com/julia_tschirka/

Mehr Geschichten hier: https://www.story.one/u/dr.-julia-tschirka-26579


Montag, 2. Mai 2022

Mit einem guten Netzwerk Menschen retten

Wir durften bereits für mehrere hundert ukrainische Flüchtlinge Unterkünfte organisieren, sie mit dem Nötigsten versorgen und ihnen zum Teil auch schon Arbeitsplätze vermitteln. Das alles wäre ohne ein gutes Netzwerk nicht möglich. Wir sehen uns in unserem Netzwerk als Schnittstelle: Auf der einen Seite stehen die Flüchtlingshelfer, die den Kontakt zwischen den Flüchtlingen und uns herstellen. Die andere Seite sind die Gastgeber, die ihre Wohnungen und Häuser zur Verfügung stellen. Hier spielt unsere Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Siegen-Achenbach eine große Rolle, die eine hervorragende Arbeit machen. Sogar im Fernsehen wurde über den Heimatverein berichtet.