Stell Dir vor, Du könntest als Angestellter in einem Unternehmen
arbeiten, wo Dich keiner kontrollieren würde. Es wäre völlig egal, ob Du
vier oder acht Stunden am Tag arbeitest, vielleicht am einem bestimmten
Wochentag komplett frei nehmen würdest, wenn Du Lust hast dafür aber am
Sonntag für ein paar Stunden zur Arbeit gingest. Es ist Dir völlig
freigestellt, ob Du im Firmengebäude aufläufst. Du kannst meinetwegen
auch von zu Hause aus arbeiten, oder Dich in ein Cafe setzen, um etwas
für Dein Unternehmen zu tun. Hältst Du Dich aber in Deiner Firma auf und
hast das Bedürfnis auf eine längere Pause, dann gehst Du einfach in den
Firmengarten und schläfst ein paar Stunden in der Hängematte.
Die Höhe Deines Gehaltes kannst Du selbst festlegen, genau wie Deine
Kollegen das auch für sich tun. Es gibt in Deiner Firma keine
Personalabteilung. Wenn Du und Deine Kollegen meinen, Verstärkung für
Euer Team zu benötigen, dann stellt Ihr einfach jemanden ein. Der
Glückliche könnte dann ebenfalls sein Gehalt selbst bestimmen und
verfügte natürlich auch über die gleichen Freiheiten wie ihr selbst.
Okay, wenn Du jetzt genug geträumt hast, dann komm jetzt wieder
zurück in Deine Wirklichkeit, denn so etwas ist natürlich völlig
unrealistisch. Halt, nicht so schnell - das war überhaupt kein
Phantasiebild, welches ich gerade gezeichnet habe. Es gibt tatsächlich
eine Firma, in der das alles genau so passiert. Dieses Unternehmen hat
dabei einen unglaublichen Erfolg. Dem Geschäftsführer, der dieses fast
schon anarchisch anmutende System installierte, ist es gelungen, seit
seiner Übernahme der Leitung den Gewinn von 4 Millionen auf mittlerweile
220 Millionen US-Dollar zu steigern.
Anfang der Neunziger Jahre las ich das Buch “Das Semco System: Management ohne Manager” von
Ricardo Semler.
Schon damals war ich fasziniert von den völlig neuen Ansätzen, die das
brasilianische Unternehmen Semco praktizierte. Längere Zeit habe ich
mich nicht mehr mit der Firma befasst, bis ich auf einen
interessanten Artikel stieß. Inzwischen hat sich Semco auf gigantische
Weise weiterentwickelt und ich möchte ich Euch daher den Beitrag von
www.sein.de nicht vorenthalten:
Die Befreiung der Arbeit: Das 7-Tage-Wochenende
Weltweit starren Manager fassungslos auf die Firma Semco: Was dort
passiert, widerspricht allem, an was sie glauben. Die 3000 Mitarbeiter
wählen ihre Vorgesetzten, bestimmen ihre eigenen Arbeitszeiten und
Gehälter. Es gibt keine Geschäftspläne, keine Personalabteilung, fast
keine Hierarchie. Alle Gewinne werden per Abstimmung aufgeteilt, die
Gehälter und sämtliche Geschäftsbücher sind für alle einsehbar, die
Emails dafür strikt privat und wie viel Geld die Mitarbeiter für
Geschäftsreisen oder ihre Computer ausgeben, ist ihnen selbst
überlassen.
Respekt als Erfolgsrezept
Was für heutige Personalchefs klingen mag, wie ein anarchischer
Alptraum, ist in Wirklichkeit eine Erfolgsgeschichte. Seit das
Unternehmen von Inhaber Ricardo Semler umgestellt wurde, stiegen die
Gewinne von 35 Millionen auf 220 Millionen Dollar. Und nicht nur die
Zahlen geben Semler recht, sondern vor allem die Mitarbeiter: Die
Fluktuationsrate bei Semco liegt unter einem Prozent.
Das Rezept ist einfach:
Behandele deine Mitarbeiter wie Erwachsene, dann verhalten sie sich auch so.
Je mehr Freiheiten du ihnen gibst, desto produktiver, zufriedener und
innovativer werden sie. Ein Unternehmen besteht aus erwachsenen
gleichberechtigten Menschen, nicht aus Arbeitskräften. Jeder hat das
Recht, sich frei zu entfalten und eine gesunde Balance zwischen Beruf
und Privatleben zu finden.
Entgegen allem, was man aktuell zu
glauben scheint, machen Druck und Stress Menschen nicht produktiv,
sondern ganz einfach nur kaputt. Und dabei verliert das Unternehmen letztlich genauso wie der Mensch.
Es geht Semler um ein neues Verständnis von Arbeit: Eine Firma ist
ein Gemeinschaftsprojekt, im besten Fall eine geteilte Leidenschaft. Die
Gesellschaft hat uns das allerdings anders beigebracht, wir sollen uns
als Steinmetze, Maler und Hilfsarbeiter sehen, nicht als
Kathedralen-Schöpfer.
Bei Semco sind die Mitarbeiter essenzieller Teil eines Ganzen, sie sind Mit-Schöpfer, nicht bloß ein Rädchen im System. Sie haben Ideen, sie verstehen ihre Arbeit, sie wissen, was sie wert ist.
Vertrauen statt Kontrolle
Aber unsere Personalchefs glauben noch immer, dass man Angestellte
kontrollieren muss, über Stechuhren, feste Arbeitszeiten,
Produktivitäts-Reports und Email-Spionage. Semco hat das alles
aufgegeben und die Kontrolle durch Vertrauen ersetzt - und mal im Ernst:
Wer will eigentlich mit Leuten zusammenarbeiten, denen man nicht trauen
kann?
Für Semler ist der Kontrollwahn der meisten Unternehmen einfach nur
noch verrückt. Seine Mitarbeiter erziehen ihre Kinder und wählen
Gouverneure, es sind erwachsene Menschen, die selbst am besten wissen,
was sie möchten und brauchen.
“
Es ist völlig verrückt, diese Idee, dass die Menschen immer noch so fixiert darauf sind, wie etwas gemacht wird.
Bei uns sagt keiner: ‘Du bist fünf Minuten zu spät’ oder ‘warum geht
dieser Fabrikarbeiter schon wieder aufs Klo?’ [...] Wenn Du dich bei
Semco im Büro umsiehst, sind da immer jede Menge leere Plätze. Die Frage
ist: Wo sind diese Leute? Ich hab nicht die leiseste Idee und es
interessiert mich auch nicht.
Es interessiert mich in dem Sinne nicht, dass ich nicht sicherstellen
möchte, dass meine Mitarbeiter zur Arbeit kommen und der Firma eine
bestimmte Anzahl Stunden pro Tag geben. Wer braucht eine bestimmte
Anzahl Stunden pro Tag? Wir brauchen Leute, die ein bestimmtes Ergebnis
abliefern. Mit vier Stunden, acht Stunden oder zwölf Stunden im Büro -
sonntags kommen und Montags zu Hause bleiben. Es ist irrelevant für
mich”, erklärt Semler seltsam einleuchtend.
Keine Hierarchie, dafür Teams
Semco ist etwas, dass es laut dem Menschenbild heutiger Manager
eigentlich gar nicht geben dürfte. Und wenn doch, dann dürfte es nicht
funktionieren. Tut es aber. Drei Fragen hört Semler immer wieder: Macht
ihr das wirklich so? Funktioniert es ganz im Ernst? Und: Was jetzt?
Die ersten zwei sind einfach zu beantworten: “Wir machen das jetzt
seit 25 Jahren, so ziemlicher jeder, den es wirklich interessiert, ist
hergekommen, um zu sehen, ob es wahr ist. Und unsere Zahlen sind über
jeden Zweifel erhaben”, sagt Semler selbstbewusst.
Für ihn ist war das Aufbrechen der Unternehmensstruktur von Anfang an
keine Traumtänzerei, sondern vielmehr die einzig mögliche Antwort auf
unsere unmenschliche Arbeitswelt. Er hat es auf die harte Tour gelernt,
wachte selbst erst auf, als er kollabierte und mit Komplett-Burnout in
ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Das war der Punkt, an dem er
beschloss, seine geistige und körperliche Gesundheit nie mehr dem Job
unterzuordnen - und das auch von seinen Angestellten nicht zu verlangen.
Dass der Wahnsinn ein Ende haben muss.
“Wenn man es sich genauer ansieht, muss man feststellen, dass das
traditionelle System nicht funktioniert. Und das ist der Anreiz, sich
nach etwas anderem umzusehen” - so einfach sieht Semler das.
Doch es fehlt vielen Unternehmern noch immer schwer, die Kontrolle
loszulassen. Denn heutige Firmen sind nicht aufgebaut wie Orte des
Schöpfens, sondern wie das Militär: mit einer hierarchischen
Machtstruktur, mit Befehlsgebern und -empfängern. Semco hingegen ist in
konzentrischen und durchlässigen Kreisen aufgebaut, es gibt keine
Arbeitstitel, keine festen Büros. Niemand muss zur Arbeit kommen, ob von
zu Hause, aus dem Dschungel oder einem Cafe an der Strandpromenade
gearbeitet wird, ist den einzelnen Mitarbeitern und Teams selbst
überlassen.
Diese Teams sind das Herzstück von Semco. Die Menschen arbeiten in
Gruppen, die jeweils ein Produkt oder ein Zwischenprodukt selbstständig
fertig stellen. Wie sie das machen, in welcher Zeit und mit welchem
Geld, das ist ihre Sache. Wer zwischendurch schlafen will, geht einfach
in den Firmengarten und legt sich für ein paar Stunden in die Hängematte
- wer müde ist, macht ja eh nur Fehler.
Die Firma ohne Personalabteilung
Semco hat 3000 Mitarbeiter, aber keine Personalabteilung, da steht
dem traditionellen Unternehmer der Angstschweiß auf der Stirn. Wer
stellt diese Leute ein? Wer überprüft die Leistung?
Das machen die Angestellten alles selbst. Stellt ein Team fest, dass
eine neue Person gebraucht wird, schreibt sie im Intranet der Firma ein
entsprechendes Meeting aus. Das ist natürlich freiwillig: Alle können
kommen, keiner muss.
“Wir wollen nicht, dass irgendwer in etwas verwickelt wird, was ihn
nicht interessiert, deshalb sind alle Meetings freiwillig. Das heißt die
Meetings werden bekanntgegeben und wer interessiert ist, kann und wird
vorbeikommen und soll in dem Moment den Raum wieder verlassen, wenn es
anfängt, ihn zu langweilen”, erklärt Semler die Meeting-Philosophie.
Leute, die mitten in einem Meeting gehen, weil es sie langweilt - das
würde so manchen Vorgesetzten in den Wahnsinn treiben. Aber bei Semco
sollen eben nur die Menschen eine Entscheidung treffen und tragen, die
es unmittelbar angeht und interessiert.
Auf so einem Meeting könnte zum Beispiel beschlossen werden, dass
neuer Mitarbeiter gebraucht wird und was er oder sie können muss. Dann
wird gemeinschaftlich eine Annonce geschrieben, und sobald die
Bewerbungen kommen, werden sie im Team aufgeteilt: Jeder, der möchte,
nimmt einfach ein paar mit nach Hause und bringt die interessantesten
dann wieder mit. Statt Vorstellungsgesprächen gibt es ein
Gruppengespräch mit allen Kandidaten gleichzeitig - auch hier darf
kommen, wer will.
Die einzigen Mitarbeiter, die regelmäßig formal bewertet werden, sind
jene in Entscheidungs-Positionen - und zwar von allen anderen. Sollte
einer dieser Manager wiederholt schlechte Bewertungen kriegen, geht er
für gewöhnlich von selbst.
Gruppenzwang
Tatsächlich regeln die Teams fast alles unter sich. Macht jemand
keinen guten Job, so wird das im Team diskutiert, oder ein Meeting
einberufen. Wer sich ein hohes Gehalt zuteilt, erhöht damit auch die
Erwartungen des Teams und den Leistungsdruck. Aber auch die Mitarbeiter
haben mittlerweile ein anderes Verhältnis zur Arbeit: Wenn jemand einen
Haufen Geld verdient, die ganze Woche eigentlich nur Golf spielt, aber
trotzdem einen guten Job macht und seine Aufgaben erledigt - wen
kümmert’s dann? Was zählt, ist das Ergebnis.
Eine Studie von CNN hat festgestellt, dass die Mitarbeiter bei Semco
eine sehr viel gesündere Balance zwischen Privatleben und Beruf haben,
sich mehr Zeit für Beziehungen, Kinder und Hobbys nehmen, aber
gleichzeitig auch ungewöhnlich hohen Einsatz und bemerkenswerte
Leistungen im Beruf zeigen. Nicht trotz, sondern wegen der Freiheiten.
Für Semler ist das wenig verwunderlich: Menschen müssen sich entfalten
können, um ihr Potenzial optimal einzubringen.
Und es funktioniert
Semler ist sich sicher: Sein Konzept funktioniert überall. Er selbst
hat es in Fabriken ebenso eingesetzt, wie in IT-Büros. Tatsächlich ist
es eigentlich andersherum - es funktioniert überhaupt nur so. Unsere
derzeitige Arbeitswelt mit ihren Burn-Out-Syndromen, mit Mobbing,
Stress, Magengeschwüren und Depressionen funktioniert nämlich eben
nicht, sie ist fortgesetzter Wahnsinn.
Es wird Zeit, dass wir eine Gesellschaft erschaffen, in der Beruf
wieder mit Berufung und Leidenschaft assoziiert wird, nicht mit
Sklaverei und Ausbeutung. In der Menschen wieder freie Entscheidungen
treffen können und mit Respekt behandelt werden. In der Privatleben und
Arbeit gleichwertig sind – auch für die Vorgesetzten. Es wird Zeit für
das 7-Tage-Wochenende!
Fotos © Konstantin Gastmann / PIXELIO