“Glücklich der Mensch, der weise und urteilsfähig geworden ist! Er
ist reicher als jemand, der Silber und Gold besitzt. Selbst die größten
Schätze und die schönsten Perlen verblassen gegenüber dem Wert der
Einsicht. Wer weise ist, wird lange leben und Reichtum und Ansehen
erwerben. Ja, die Weisheit schenkt Glück und Sicherheit; sie allein gibt
ein erfülltes Leben, und wer an ihr festhält, ist glücklich! Durch
Weisheit schuf Gott die Erde, mit seinem Verstand entwarf er das
Weltall. Seine Klugheit ließ die Quellen aus der Tiefe hervorsprudeln
und Regen aus den Wolken fallen. Mein Sohn, achte darauf, dass du die
Weisheit und Besonnenheit nie aus den Augen verlierst! Sie wird dein
Leben erfüllen und dir Ansehen bei den Menschen geben. Dann kannst du
sicher deinen Weg gehen, nichts bringt dich zu Fall.”
(Sprüche Salomos,
Kapitel 3)
Viele Menschen versuchen ständig heraus zu finden, wo das Glück
verborgen liegt. Manchmal macht es aber durchaus Sinn, wenn wir darüber
nachdenken, wo das Glück nicht ist. Dazu habe ich etwas sehr Schönes in dem Roman “Wokini oder die Suche nach dem verborgenen Glück”
von Nicholas Sparks und Billy Mills gefunden. Das Buch handelt von dem
Indianerjungen David, der in den 50er und 60er Jahren des 20.
Jahrhunderts in einem Reservat aufwuchs. Seine Mutter starb, als er 11
Jahre alt war. Seine ältere Schwester übernahm sozusagen die Mutterrolle
für ihn und seine jüngeren Geschwister. Drei Jahre später starb auch
sie an einer Krankheit. Durch diesen erneuten Verlust eines geliebten
Menschen, verfiel David in eine tiefe Depression. Er litt unsäglich an
diesem Schmerz und dachte manchmal daran, seinem Leben ein Ende zu
bereiten.
Nach einigen Wochen wünschte sich David, endlich wieder glücklich
sein zu können - aber wie sollte das gehen, mit dieser Trauer?
Vielleicht hatte sein Vater eine Antwort für ihn. Als er ihn um Hilfe
bat, nahm dieser eine Schriftrolle aus der Schublade seines
Schreibtisches. Sie bestand aus zerschlissenem Stoff und war von seinem
Ururgroßvater, einem Medizinmann, bemalt worden. Er gab sie David mit
den Worten: “Nimm sie an Dich und Du wirst lernen.” Sie enthielt sieben
Bilder. Kein einziges Wort war darin geschrieben. Der Vater meinte: “Die
Rolle zeigt Dir, wie Du in deinem Leben glücklich wirst.” Er forderte
David auf, sie mit auf die Reise zu nehmen. David verstand gar nichts.
Auf welche Reise sollte er gehen und wer könnte ihm den Sinn dieser
Rolle entschlüsseln. “Jemand, der weiser ist als ich. Der Dich im
Innersten berührt und mit Dir sprechen kann”, sagte der Vater.
David machte sich auf seine Reise und versuchte jemanden zu finden,
der ihm helfen konnte. Nach mehreren erfolglosen Stationen gelangte er
zu einem alten Mann, der in den Bergen lebte. Als David dem Mann sein
Anliegen schilderte, stellte dieser ihm eine Aufgabe. Er solle die Leute
fragen, was für sie Glück bedeute. Erst wenn er acht verschiedene
Versionen gehört hätte, dürfe er wieder zurückkommen.
Nach zwei Tagen war die Aufgabe erfüllt. Der Mann wollte erfahren,
was David herausgefunden hatte. David berichtete von einem älteren Mann,
der sehr arm schien. Er beteuerte, dass er sich so lange kein Essen
leisten könne, bis er einen Scheck von der Regierung bekäme. Er meinte,
dass er glücklich wäre, wenn er mehr Geld hätte. „Wie hat diese Antwort
auf Dich gewirkt?“ „Sie erschien mir unsinnig. Man kann mit Geld alles
Mögliche kaufen, aber nicht das Glück. Viele arme Leute, die ich traf,
waren genauso glücklich oder sogar noch glücklicher als reiche Leute.
Tatsächlich hörte ich auf meiner Reise von einem reichen Mann, der
Selbstmord begangen hat. Wenn man mit Geld allein glücklich wird, dann
erkläre mir, warum er sich umbrachte.“ „Dafür gibt es keine Erklärung,
es sei denn, Du lernst und glaubst, dass Glück nicht vom Geld abhängt,
sondern von Dir selbst und Deiner Einstellung! Und was war die Zweite
Antwort, die Du gefunden hast?“
„Ich traf einen Mann, der behauptete, dass er glücklich wäre, wenn er
Ruhm erlangte. Er wollte Filmstar werden.“ „Erschien Dir diese Antwort
sinnvoll?“ „Nein! Der Ruhm kann einen Menschen nicht glücklich machen,
sonst wären alle Berühmtheiten glücklich. Meiner Meinung nach beschert
der Ruhm zahlreiche Verpflichtungen und einige Vorteile, doch kein
Glück.“
“Und wie lautet die dritte Antwort, auf die Du gestoßen bist?“ „Ich
sprach mit einer jungen Frau, die allein in der Stadt lebt. Ich fragte
sie, ob Geld und Ruhm sie glücklich machen würde, und sie sagte nein.
Doch obwohl sie ein sehr angenehmes Leben führt, war sie ziemlich
deprimiert. Erst wenn sie den richtigen Mann zum Heiraten finden würde,
wäre sie glücklich.“ „Glaubst Du, dass sie Recht hatte?“ „Nein. Es ist
zwar wichtig, den richtigen Lebenspartner zu haben, aber meiner Ansicht
nach kann er einen nicht die ganze Zeit glücklich machen. Ich bin
Menschen begegnet, die ihren Ehepartner liebten, aber das reichte nicht
fürs Glück.“ „Wenn Du meinst, der andere Mensch könne Dich glücklich
machen, ist das wie die Behauptung, jemand anders kontrolliere Deine
Gefühle. Das Glücksgefühl hat aber seinen Ursprung im Inneren, nirgendwo
sonst. Niemand außer Dir bestimmt darüber, wie Du Dich fühlst.“ Der
Mann fuhr fort: „Berichte mir von der Frau, die eine gute Ehe führt und
die trotzdem sagte, sie sei unglücklich?“
„Diese Frau bezeichnete ihren Ehepartner als den perfektesten Mann,
den sie sich vorstellen könne. Aber glücklich wäre sie erst, wenn sie
mehr Freunde hätte. Seit ihrer Kindheit habe sie davon geträumt, bei
anderen beliebt zu sein, doch sie könne kaum Freunde finden. Trotz ihrer
guten Ehe sei sie ziemlich einsam.“ „Freundschaften haben mit dem Glück
nichts zu tun, einmal abgesehen davon, dass man mehr Freunde hat, wenn
man glücklich ist.“
„Im Laufe meiner nächsten Begegnung lernte ich, dass auch viele
Freunde das Glück nicht gewährleisten können. Die nächste Frau war bei
allen sehr beliebt. Sie hatte mehr Freunde als irgendjemand sonst, den
ich auf meiner Reise traf. Sie war umschwärmter als alle anderen
Menschen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Aber als ich sie
fragte, ob sie glücklich sei, schüttelte sie den Kopf. Sie ist sehr
dick, und ihr Gesicht ist infolge einer Windpockenerkrankung in der
Kindheit von Narben gekennzeichnet. Sie sagte, sie wäre glücklich, wenn
sie ein attraktives Äußeres hätte. Sobald sie allein ist, weint sie.“
„Es ist sehr traurig, wenn die Leute sich nicht so akzeptieren, wie sie
sind. Und noch schlimmer ist es, wenn sie glauben, etwas ändern zu
müssen, damit sie endlich glücklich werden. Die Schönheit kann einen
Menschen nicht glücklich machen – selbst schöne Menschen müssen lernen,
glücklich zu sein.“
„Was hast Du gemacht, nachdem Du von der Frau fort gegangen bist?“
„Es war schon spät, und so fand ich eine Scheune, in der ich schlafen
konnte. Dort stieß ich auf einen anderen Mann. Er war blind und hatte im
Zweiten Weltkrieg ein Bein durch Amputation verloren. Er vegetierte als
Bettler auf der Straße und war sehr unglücklich über sein Leben. Er
sagte, wenn er keine körperliche Behinderung hätte, wäre er glücklich.“
„Viele Menschen erachten die körperliche Gesundheit als etwas
Selbstverständliches. In der Sonne spazieren gehen, dem Rauschen des
Flusses zuzuhören oder die Schönheit eines Sonnenunterganges zu
bewundern – das sind einfache Vergnügen, von denen einige nur träumen
können. Alle gesunden Leute sollten sich auf das konzentrieren, was sie
haben, und genügend Zeit erübrigen, um es auszukosten. Das würde ihnen
helfen, dankbar anzuerkennen, wie außergewöhnlich das Leben im Grunde
ist. Dennoch haben diese einfachen Dinge nichts damit zu tun, ob jemand
glücklich ist oder nicht. Eine körperliche Behinderung zerstört nicht
unbedingt die Existenz eines Menschen. Das Glück ist nicht beschränkt
auf die vollkommen Gesunden. Trotz all der körperlichen Gebrechen in der
Welt kann man glücklich sein, wenn man sich danach sehnt. Hast Du am
nächsten Tag Deine siebte Antwort gefunden?“
„Ja. Ich traf eine junge Frau, die gerade ihr Haus verkaufte. Sie
sagte, es sei mit zu vielen Erinnerungen befrachtet. Ihr Mann war
gestorben. Und sie betonte, wenn ihr Mann noch leben würde, wäre sie
glücklich.“ „Aus dem gleichen Grund bist auch Du unglücklich. Du hast
bestimmt sehr gut nachvollziehen können, wie sie sich fühlte. Seit es
den Menschen gibt, fürchtet er den Tod. Doch der Tod ist nicht das Ende
des Lebens, sondern der Beginn eines neuen Lebens. Man sollte sich
klarmachen, dass der verstorbene Mensch nicht völlig verschwunden ist.
Er hat sich in etwas viel Größeres verwandelt. Bald wird dann die Trauer
von eben dem Gefühl abgelöst, das Du gerne empfinden möchtest, und
entgegen Deinen Befürchtungen kannst Du wieder glücklich sein.
Vielleicht nicht sofort, aber gewiss im Laufe der Zeit. Wenn Du daran
zweifelst, so frage Dich einfach: Glaube ich wirklich, dass der
Verstorbene mich unglücklich sehen will? Wenn die Antwort ‘Nein’ lautet,
musst Du Dich bemühen, glücklich zu werden und dadurch diesen
Verstorbenen ehren. Berichte mir von der letzten Möglichkeit, glücklich
zu sein.“
„Ich brauchte fast den ganzen Tag, aber schließlich fand ich
jemanden, der ein anderes Motiv hatte. Er sagte, er mache sich Sorgen
über den Frieden, über die Umwelt, über diese und jenes. Und er
beteuerte, wenn all die damit zusammenhängenden Probleme gelöst würden,
wäre er glücklich.“ „Hatte er Deiner Meinung nach Recht?“ „Nein. Sein
Motiv unterschied sich letztlich nicht von den der anderen. Das Glück
hängt nicht davon ab, was in der Welt passiert, sondern davon, wie man
sie wahrnimmt.”
Der Mann lächelte David freundlich an. „Nimm die Rolle und breite sie
vor Dir aus. Sag mir, was Du auf dem ersten Bild siehst.“ „Ich sehe
Iktumi, die ein Adler fressen will.“ „Weißt Du was über Iktumi und den
Adler?“ „Iktumi ist eine hinterlistige Spinne. Sie benutzt gewisse
Tricks, um die Menschen zu beeinflussen. Sie ist eine Lügnerin. Unser
Schöpfer hingegen spricht zu uns und allen Menschen durch den Adler. Der
Adler ist die Wahrheit.“ „Gut. Aber was verbindet Deine Reise mit
Iktumi?“ „Iktumi hat acht Beine und ich habe acht verschiedene
Möglichkeiten, um glücklich zu sein.“ „Sind dies die wahren Wege zum
Glück?“ „Für die meisten Menschen schon, aber sie sind nicht wahr!
Offenbar brauchte jeder etwas anderes, um glücklich zu sein. Geld, Ruhm,
Beziehungen – all diese Faktoren wurden genannt, doch ich konnte mir
unzählige Beispiele vorstellen, die zeigten, dass sie nicht der Wahrheit
entsprachen. Solche Lügen benutzt Iktumi, um auf den Geist eines
Menschen einzuwirken! Die Spinne will nicht, dass Leute glücklich sind.
Vielmehr will sie ihnen beibringen, dass Glück stets außer Reichweite
ist.“
„Auf welche Weise aber wirst Du auf dem Bild dargestellt?“ „Durch den
Adler?“ „Genau. Warum?“ „Weil ich die Lügen der Spinne nicht glaube!
Ich habe beschlossen, mich in den Adler zu verwandeln, die Lügen aus
meinem Leben zu verbannen und sie durch die Wahrheit zu ersetzen.“ „Die
Wahrheit ist wunderbar und doch einfach: Du allein bist verantwortlich für Dein Glück. Du allein bestimmst darüber, wie Du Dich fühlst. Nichts und niemand kann das für Dich tun. Sei dankbar für das, was Du hast, anstatt Dich darauf zu fixieren, was Du nicht hast.“
Der Mann zählte die Lügen Iktumis auf:
“Wenn ich nur Reichtum besäße, dann wäre ich glücklich.
Wenn ich nur Ruhm erlangen würde, dann wäre ich glücklich.
Wenn ich nur den richtigen Ehepartner finden könnte, dann wäre ich glücklich.
Wenn ich nur mehr Freunde hätte, dann wäre ich glücklich.
Wenn ich nur ein attraktiveres Äußeres hätte, dann wäre ich glücklich.
Wenn ich nur keine körperliche Behinderung hätte, dann wäre ich glücklich.
Wenn nur der geliebte Mensch nicht gestorben wäre, dann wäre ich glücklich.
Wenn nur die Welt ein friedlicherer Ort wäre, dann wäre ich glücklich.
All das ist falsch! Du kannst glücklich sein, wenn Du es wirklich willst.”
(Auszug eines Vortrages von Udo Michaelis am 07.09.2008 in Borgholzhausen)
Foto © : Dieter Schütz / PIXELIO
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