Vor einiger Zeit hörte ich vom "Anderen Gottesdienst" der ev. Kirchengemeide Halle (Westf.). Ausgangspunkt zur dessen Entstehung war eine Frage, die Pastor Bernd Eimterbäumer verschieden Leuten gestellt hat: "Was muss ich tun, damit ihr in den Gottesdienst und in die Kirche kommt". Bei den Antworten kamen Dinge wie "nicht Sonntags um 10 Uhr wenn ich auspennen will", "der Pastor soll nicht so viel Abgehobenes erzählen, was nichts mit unserem Alltag zu tun hat", "mehr Pepp und nicht so trocken" und "andere Musik”. Bernd Eimterbäumer hat schnell erkannt, dass die Aussagen
dieser Leute kein Spott, sondern handfeste Verbesserungsvorschläge
waren. Die Ideen, die sie brachten, waren weder verrückt oder abgehoben
und erst recht nicht unerfüllbar. Er hat sie ernst genommen. Die Folge
war eine Form des Gottesdienstes, die den Wünschen vieler Menschen
tatsächlich entspricht.
An
einem Sonntag um 18.00 Uhr besuchte ich diesen Gottesdienst. Noch an
der Türschwelle hatte ich mein erstes positives Erlebnis. Ich wurde
herzlich begrüßt - nein, nicht mit einem aufgesetzten Grinsen, sondern
wirklich herzlich. Nach shakehands, ein paar netten Worten und den
Empfang von Gummibärchen versuchte ich vergeblich einen Sitzplatz zu
finden. “Ich bin 15 Minuten früher da und muss jetzt stehen? Ist das
immer so voll hier?” Es wurden noch ein paar Stühle organisiert und so
konnte ich doch noch Platz nehmen.
Es ging los. Die Band spielte: 3
Sängerinnen, E-Gitarren, Drums, Keyboard etc. Die Menschen in der Kirche
sangen mit - der Text wurde per Beamer an die Leinwand geworfen. Zwei
Moderatorinnen führten durch den Abend. Ein Theaterstück wurde
aufgeführt. Dann gab es eine Predigt - kein Pastor im schwarzen Talar,
sondern ein junger Mann in gewöhnlicher Kleidung. Der Vortrag war kurz
und interessant.
Die
Moderatorinnen führten dann ein Interview. Ich meine, es wäre mit einem
Haller Geschäftsmann gewesen, aber so genau kann ich mich nicht mehr
erinnern.
Zum Schluss spielte noch einmal die Band. Nach dem
Gottesdienst gingen Einige ins “Cafe’ Gegenüber” zum gemütlichen
Beisammensein und Quatschen. Andere trafen sich in der “Grotte”. Dort
befanden sich meist Jugendliche. Die Musik, die hier lief, war ziemlich
laut. Es gab einen Kicker und einen Billardtisch.
Der
Gottesdienst hat mir gefallen und von da an habe ich ihn bis zu meinem Umzug ins Siegerland regelmäßig besucht. Man begegnet dort Menschen, die ihren Glauben sehr engagiert
leben, anstatt auf einer theoretischen Ebene nur davon zu faseln. Auf
der anderen Seite sind sie unverkrampft und haben sie eine Menge Spaß.
Eine gute Mischung, wie ich finde. Den Altersdurchschnitt riss ich als
Mensch um die 50 Jahren allerdings nach oben, weil über die Hälfte der Besucher
unter 25 sind.
Beim folgenden Interview hatte ich diesmal vier Gesprächspartner:
-Bernd Eimterbäumer (42, Pastor)
-Katharina (Kaddie) Hallen (16, Sängerin der Band Footprints)
-Kim Kupczyk (16, ebenfalls Sängerin bei den Footprints)
-Björn Hamann (18, Moderator und Theater-Darsteller)
Udo Michaelis: “Was motiviert Euch, ehrenamtlich Aufgaben in der Gemeinde wahrzunehmen?”
Björn Hamann: “Neben meinen Aufgaben im Anderen Gottesdienst
engagiere ich mich in der kirchlichen Jugendarbeit. Auf den
Norwegen-Freizeiten gehöre ich zu den Betreuern, die unsere Konfirmanden
begleiten. Wenn man die Konfis dort abholt, wo sie stehen, ist es gar
nicht so schwer, eine enge Beziehung zu ihnen aufzubauen. Die Kids mögen
kein Gelaber, sondern wollen als Persönlichkeiten ernst genommen
werden. Interessant ist, dass viele von ihnen das Ziel haben, selbst
Mitarbeiter in der Gemeinde zu werden. Sie möchten beispielsweise
Betreuer für die nächste Konfi-Generation auf einer Norwegen-Freizeit
werden. Solche Ergebnisse geben mir das Gefühl, am richtigen Platz zu
sein und motivieren mich, weiter zu machen.”
Kaddie
Hallen: “Eine Frau aus unserem Ort hat sich aufgrund von negativen
Erfahrungen mit der Kirche bewusst von ihr distanziert. Sie sah auch
keinen Sinn mehr darin, ihren Sohn zum Konfi-Unterricht zu schicken.
Dann wurde sie durch einen von uns zum Anderen Gottesdienst eingeladen.
Sie ging auch hin und war sehr beeindruckt. Ihre veränderte Einstellung
führte dazu, dass ihr Sohn dann doch den Unterricht besuchte. Der Junge
bekam ebenfalls eine positive Einstellung zum Glauben und zur Kirche.
Solche Erlebnisse finde ich sehr motivierend. Mich freut es, wenn sich
Menschen, die mit Kirche nichts am Hut haben, sich auf eine Erfahrung
mit Jesus Christus einlassen.”
Kim
Kupczyk: “Manchmal kommen Leute nach dem Anderen Gottesdienst zu uns
und sagen, dass unsere Musik ihnen gut getan hat. Mich hat überrascht,
dass es sogar ältere Menschen gibt, denen die ‘Power’ unserer Songs gut
gefallen. Solch ein Feedback macht natürlich Spaß.”
“Welche Besetzung hat Eure Band?”
Kim Kupczyk: “Wir haben zwei E-Gitarristen, einen Keyboarder, der bei
einigen Stücken alternativ Akustik-Gitarre spielt, eine Bassistin,
einen Drummer und drei Sängerinnen. Das Alter der Bandmitglieder liegt
zwischen 16 und 19 Jahren.”
“Bernd, worin liegt die Motivation für Deine Gemeindearbeit?”
Bernd
Eimterbäumer: “Bevor wir den Anderen Gottesdienst ins Leben riefen,
besuchte ich eine Konferenz der Willow Creek Community Church in der
Nähe von Chicago. Dort habe ich die entscheidenden Impulse bekommen, um
neue Wege in der Gemeindearbeit zu gehen. Der Referent stellte uns
aufrüttelnde Fragen: ‘Was ist euer Traum? Wie sieht eure Vision aus?’
Ich setze mich also hin und schrieb meinen Traum, meine Vision auf. Der
Inhalt lautet zusammengefasst etwa so: ‘Ich will kirchenfernen Menschen
die Möglichkeit zu geben, Gott und Kirche kennen zu lernen und einen
Platz in der Gemeinde zu finden. Es sollen die Voraussetzungen dafür
geschaffen werden, dass diese Menschen sich einbringen können, um die
Welt zum Positiven verändern zu können.’ Gemeinde verstehe ich in dem
Kontext als lebendigen Organismus, der aus verschiedenen Gliedern
besteht. Diese Glieder haben unterschiedliche Aufgaben. Du erkennst
Deine Berufung am besten, wenn Du darauf achtest, wo Dein Herz schlägt.
Es geht also nicht in erster Linie darum Mitarbeiter zu finden, damit
Aufgaben erledigt werden. Wenn Du an der Stelle mitarbeitest, wo Dein
Herz schlägt, entwickelst Du Dich in Richtung Deiner persönlichen
Berufung. Wer diese Berufung lebt, erfährt Erfüllung. Um diesbezüglich
Hilfestellungen zu geben, bieten wir in verschiedenen Kleingruppen einen
Gaben-Test an. Die Auswertung dieses Tests und die anschließende
Beratung hilft dem neuen Mitarbeiter eine Aufgabe zu finden, in der er
glücklich ist und andere glücklich machen kann. Letzten Endes profitiert
die Gemeinde wiederum davon, weil sie aus einer Vielzahl von hoch
motivierten Gemeindegliedern besteht. Das Konzept, in dem der
Kirchenbetrieb ausschließlich durch Pastor, Kantor und Küster
veranstaltet wird, verhindert meiner Meinung nach ein lebendiges
Gemeindewachstum.”
Kaddie Hallen: “Mir gefällt in diesem Zusammenhang, dass beim Anderen
Gottesdienst nicht nur Pastoren, sondern auch Ehrenamtliche predigen.”
“Es geht also nicht darum, Schäfchen zu sammeln, indem der Pastor die missionarische Keule schwingt?”
Bernd Eimterbäumer: “Eher im Gegenteil! Wir wollen Räume schaffen und
Angebote installieren, die attraktiv sind. Es geht nicht darum, Leute
in eine bestimmte Richtung zu pushen, sondern ein Christsein zu leben,
welches begeistert und vom Hocker reißt.”
“Einige christliche Missionare kamen einmal zu Mahatma Gandhi
und haben ihn gefragt, was sie tun müssten, damit die Hindus ihre
Botschaft annehmen würden. Gandhis Antwort war überraschend: ‘Denken Sie
an das Geheimnis der Rose. Alle mögen sie, weil sie duftet. Also duften
Sie, meine Herren.’ Die effektivste Mission ist demnach, wenn mein
Christsein attraktiv ist.”
Bernd Eimterbäumer: “Ein sehr schönes Bild. Ja, das sehe ich genauso.
‘In Dir muss brennen, was Du in anderen entzünden willst.’ Diese
Aussage des Kirchenvaters Augustinus geht in die gleiche Richtung.”
“Werden Eure Aktionen immer positiv bewertet?”
Bernd
Eimterbäumer: “Natürlich gibt es hin und wieder Leute, die was zu
meckern haben. Vor kurzen rief mich ein Professor an, der sich für die
Erhaltung der deutschen Sprache engagierte. Er regte sich darüber auf,
dass wir Anglizismen wie “Holy Night” verwendeten. Auch viele Lieder der
“Footprints” sind englisch und auf einem unserer Transparente steht:
‘Whenever you pray, god starts working”. Ich versuchte ihm zu erklären,
dass ich den Gebrauch unterschiedlicher Sprachstile in den verschiedenen
Veranstaltungen nicht nur für legitim, sondern sogar für sinnvoll
halte. Warum soll ich nicht in der Sprache derer kommunizieren, die ich
erreichen möchte. Das Gleiche machen Radiosender oder wird in der
Werbung als Selbstverständlichkeit praktiziert. Niemand würde dort auf
die Idee kommen, einem Jugendlichen mit Stilmitteln zu begegnen, die
eher seine Großeltern ansprechen würden. Dieser Professor hatte dafür
leider kein Verständnis.”
“Fällt Dir eine Situation ein, in der sich ein Kirchendistanzierter durch die Hinwendung zum Glauben positiv verändert hat.”
Bernd
Eimterbäumer: “Da gibt es mehrere Beispiele. Eines hat Ähnlichkeiten
mit dem, was Kaddie erzählt hat. Der Vater eines Konfirmanden war total
enttäuscht von allem, was irgendwie mit Gott und Glauben zu tun hatte.
Er hatte mit der Kirche total abgeschlossen und war regelrecht
kirchenfeindlich eingestellt. Der Sohn, der ab und zu den Anderen
Gottesdienst besuchte, konnte seinen Vater interessanterweise dazu
bewegen, einmal mit zu kommen. Es war der Beginn einer erstaunlichen
Veränderung. Nach einiger Zeit besuchten Vater und Sohn regelmäßig den
Gottesdienst. Der Vater nahm an einem “Alpha-Kurs”
teil. Es handelt sich um einen Glaubensgrundkurs, in dem wir
christliche Inhalte vermitteln. Außerdem ermutigen wir die Teilnehmer
dazu, auf eine persönliche und individuelle Weise Gott zu erfahren.
Daraus entsteht oft ein begeistertes und engagiertes Leben als Christ.
Dieser Kurs hat das Leben dieses Mannes auf den Kopf gestellt. Bei ihm
zu Hause treffen sich inzwischen regelmäßig Menschen in einem
christlichen Hauskreis. Darüber hinaus setzt er sich mit viel
Engagement für ein Hilfsprojekt in Rumänien ein. Schon öfters hat er
Lieferungen nach Rumänien gebracht und nimmt sich tage- und wochenlang
Zeit, um vor Ort Bauprojekte praktisch zu unterstützen. Manchmal kann
ich nur staunen, wie die Liebe Gottes das Herz eines Menschen so heilen
und erneuern kann.”
“Geht das Interesse am Christsein in der Bevölkerung Deiner Meinung nach zurück, oder steigt es eher?”
Bernd Eimterbäumer: “Aufgrund zunehmender Kirchenaustritte könnte man
schlussfolgern, dass die Menschen am Glauben immer weniger interessiert
sind. Ich sehe das allerdings etwas anders. Meiner Meinung nach gelingt
es den Kirchen nicht mehr, dem spirituellen Bedürfnis der Menschen
etwas Adäquates entgegen zu stellen. Ein Indiz für vorhandene
Spiritualität ist wachsendes Interesse an esoterischen Richtungen oder
östlichen Religionen. Vielen Christen sind sich einfach nicht bewusst,
dass wir etwas Spektakuläres zu bieten haben. Wenn wir die Angelegenheit
anders wahrnehmen würden, hätten wir auch eine andere Ausstrahlung.
Dann würden wir wiederum erleben, wie sich Menschen dem Glauben
zuwenden. In meinem Umfeld erlebe ich jedenfalls, dass heute mehr
Interesse am christlichen Glauben vorhanden ist, als es früher der Fall
war. Ich glaube, dass uns spannende Dinge bevorstehen.”
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