Donnerstag, 26. Oktober 2023

Das Trauma des 7. Oktobers in Israel


Seit mehr als 1 1/2 Jahren veröffentliche ich in diesem Blog ausschließlich Artikel, die sich auf den Krieg in der Ukraine beziehen. Heute ändere ich das, indem ich den Schauplatz wechsele. In der Ukraine geschehen nach wie vor schlimme Dinge, nun auch in Israel.

Ich habe einen Bericht des Juden Assaf Zevi über die Ereignisse des 7. Oktobers angehängt, der mich erschüttert und mir die Tränen in die Augen getrieben hat. Dieses Audio ist nichts für schwache Nerven. Ich habe Verständnis dafür, wenn du es dir nicht anhörst, um dich nicht den hier geschilderten Grausamkeiten auszusetzen. Sollte das der Fall sein, habe ich trotzdem etwas für dich, was die Welt erfahren sollte. Im Dunkel der Grausamkeiten gibt es auch Licht. Ich habe für alle, die sich das Audio nicht anhören, ein Ereignis herausgezogen, das „die andere Seite“ zeigt:

In Omer, einem Vorort von Beersheba, haben 7 Jugendliche einen Minibus bestellt. Die Busfirma gehört einem arabisch-muslimischen Beduinen, der sie dann Freitag zu einer Party gefahren hat. Es wurde vereinbart, dass er sie am Samstag um 13 Uhr wieder abholt. Um 6:30 Uhr rufen die Jugendlichen ihn an, es wäre Raketenalarm, sie können hier nicht bleiben und ob er früher kommen könne. Er sagt „Natürlich“ und steigt ins Auto. An der Kreuzung sagt ihm schon ein Polizist: „Nein, nein, nein, da wird geschossen, du kannst nicht reinfahren!“ Der Fahrer sagt: „Aber meine Leute sind drin!“ Er fährt unter Beschuss rein, nimmt die sieben mit und stopft seinen Minibus mit 30 Personen voll. Da er weiß, dass er und alle anderen erschossen werden, wenn er über die asphaltierte Straße zurückfahren würde, fährt er über einen Acker, wo er weniger gesehen wird. Unterwegs sieht er ein flüchtendes Paar mit Schusswunden. Obwohl eigentlich kein Platz mehr im Auto ist, nimmt er die beiden auch noch mit. Er rettet damit 32 Personen das Leben. Eine unglaubliche Heldentat - und damit ist die Geschichte noch nicht vorbei: Am nächsten Tag werden 600 freiwillige Beduinen mobilisiert, die mit ihren Geländefahrzeugen Menschen evakuieren. Wer noch ein funktionsfähiges Fahrzeug mit starker Batterie hat, teilt seinen Standort mit und begibt sich auf die Suche nach Flüchtenden, um sie zu retten und in Sicherheit zu bringen. Muslimische Beduinen retten Juden – hier spielt die ethnische Zugehörigkeit keine Rolle mehr - Menschen retten andere Menschen und damit retten sie die Welt!

Foto ©: Christof Glätzle / PIXELIO

Donnerstag, 22. Juni 2023

Ukrainerin rettet Menschen und Tiere

Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine richtet eine Katastrophe an. Die Bekannte einer in Holzhausen lebenden Ukrainerin hilft dabei, Menschen unter Beschuss zu evakuieren.

(Video: Am Tag nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms werden Bewohner aus einem überfluteten Viertel in Cherson evakuiert. Aus die Bekannte von Anastasia, einer in Holzhausen lebenden Ukrainerin, half vor Ort.)

Es war ein Ereignis, das viele Menschen wachgerüttelt hat. Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms und die schlimmen Bilder von Überschwemmungen in der Region Cherson holten den Schrecken des Krieges in Europa auch für die Menschen in Deutschland wieder ins Bewusstsein. Die große Spenden- und Hilfsbereitschaft zu Kriegsbeginn, die in der Zwischenzeit enorm nachgelassen hat, kehrt langsam wieder zurück. Doch angesichts der großen ökologischen Katastrophe müsste es noch mehr werden, findet etwa die Friedensgruppe Siegen.

In der Region Cherson leben mehr als eine Million Menschen. Spuren der Verwüstung sieht man überall entlang des Dnjpers. Die Folgen sind verheerend. Tausende Menschen verloren ihre Heimat. Ungefähr zwei Autostunden von Cherson entfernt liegt Krywyi Rih, die Heimatstadt von Anastasia, die seit mehr als einem Jahr in Holzhausen lebt.

Anastasias Eltern sind in der 600.000-Einwohner-Stadt geblieben. Für sie hat sich die Situation enorm verschlechtert. Seit der Staudamm-Zerstörung ist das Trinkwasser gelbstichig.  Bisher war die Stadt weitgehend von Beschuss verschont geblieben. Seit mehreren Wochen schlagen regelmäßig nachts Raketen ein.

Anastasias Vater ist in der Nachbarschaft gut vernetzt. Auf einer Spazierrunde mit Hund "Pfirsich" hat er Menschen kennengelernt, die bei einer Hilfsorganisation arbeiten und insgesamt vier Personen aus den überfluteten Gebieten gerettet haben. Die Organisation aus Krywyi Rih nennt sich "Viking". In vorderster Reihe steht dort Valeria Baturko, eine ehemalige Profi-Gewichtheberin. Nur wenige Stunden nachdem der Staudamm am 6. Juni zerstört worden ist, war die 28-Jährige mit markantem Schmetterlingstatoo bereits im Überschwemmungsgebiet mitten in der Großstadt Cherson. Per Videocall berichtete sie der Siegener Zeitung, was sie an diesem Tag erlebt hat. Anastasia übersetzt aus dem Ukrainischen ins Deutsche.

"Wir sind schon früh morgens nach Cherson aufgebrochen. Da sahen wir schon Wassermassen, wo vorher noch Felder waren", erzählt Baturko. Während der Autofahrt organisierte sie ein Boot, mit dem die 28-Jährige, ihr Mann und weitere Helfer Menschen aus den überfluteten Gebieten evakuierten. In Cherson habe das Wasser mehr als vier Meter hoch gestanden, sagt Baturko. Zweistöckige Hochhäuser waren komplett unter Wasser.

(Foto: Valeria Baturko)

Die Situation vor Ort war alles andere als einfach - und gefährlich. Das Stadtgebiet links des Dnjepers ist von Russland okkupiert. Andere Teile der Stadt sind von der Ukraine zurückerobert worden. "Als wir evakuiert haben, hörten wir Schüsse. Es sind sogar Leute auf den Booten verletzt worden", sagt Baturko.

Wieso hat sie sich diesen Gefahren ausgesetzt? "Ich hätte nie gedacht, dass ich hier bleiben würde, sollte mal Krieg ausbrechen. Aber am 22. Februar letzten Jahres war mir sofort klar, dass ich helfen will - helfen muss", sagt die Sportlerin. In den weiteren Tagen nach der Staudamm-Flut kam Viking immer wieder nach Cherson. "Die Menschen waren da schon evakuiert. Doch ganz viele haben ihre Tiere zurückgelassen", berichtet Baturko. Die Helfer brachten also Transportboxen mit und holten bis heute 38 Hunde und Katzen aus dem Überschwemmungsgebiet.

Baturko erinnert sich an eine Situation, als sie und ihr Team eigentlich Tiere aufspüren sollten, dann aber eine blinde Frau aus einem mehrstöckigen Haus rufen hörten. Sie wollte ihre zehn Katzen und ihren Dackel nicht zurücklassen. Mit einer improvisierten Rutsche aus dem Fenster holte Baturkos Mann die Blinde aus dem Gebäude. Ihren Dackel wollte die Frau dabei nicht aus dem Arm geben.

Mittlerweile ist sie bei Verwandten untergebracht. Den Dackel hat sie behalten. Die zehn Katzen sind an neue Besitzer vermittelt worden.

Rund zwei Wochen nach der Katastrophe steht das Wasser in Cherson immer noch einen halben Meter hoch. Rund 1,5 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche in der Region droht die Verwüstung, weil das Bewässerungssystem zerstört ist. Vielerorts gibt es kein Trinkwasser mehr. Menschen, die in den Kommunen rund um den leergelaufenen Dnjeper Stausee leben, müssen täglich ihren Ausweis vorzeigen, um eine Tagesration von zwei Litern Wasser zu bekommen.

Da werden Feuchttücher oder haltbare Lebensmittel, die man nicht mit Wasser waschen oder zubereiten muss, plötzlich extrem wichtig. Ebenso wie Tabletten zur Wasserentgiftung oder Medikamente gegen Durchfall und Erbrechen.

Unterstützung in dieser Form soll es auch aus Siegen geben. Die Friedenstruppe arbeitet im Moment wieder daran, einen Transporter zu organisieren und voll zu machen.

Wie die Vorsitzende Tatyana Pankowska berichtet, gehe das natürlich schneller, wenn die Spendenbereitschaft steigt, Die Sammelstelle der Friedensgruppe (Marienhütte 8) nimmt mittwochs (12-16 Uhr) und freitags (8-12) Hilfsgüter entgegen.

Dieser Artikel stammt von Nico Tielke und erschien am 21.06.2023 in der Siegener Zeitung.

Freitag, 24. Februar 2023

Die Oma ist schwer krank: Anastasia aus Holzhausen kehrt nach einem Jahr in die Ukraine zurück

Am 24. Februar 2022 begann der Krieg in der Ukraine durch eine vom russischen Präsidenten Putin befohlene Invasion. Es geschah also genau heute vor einem Jahr. Viele sind seitdem aus der Ukraine geflüchtet, einige haben inzwischen in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Die Siegener Zeitung hat über eine junge Frau aus der Ukraine im Mai 2022 einen Artikel geschrieben, die in unserem Haus lebt. Nun wollte der Reporter Nico Tielke wissen, wie es ihr inzwischen ergangen ist. Da sie vor kurzem zum ersten Mal seit ihrer Flucht wieder für einige Tage ihre Heimat besucht hatte, gab es erneut einiges zu berichten. Hier der Artikel in der Siegener Zeitung:

Zu Oma Ljubov hat die in Holzhausen lebende Anastasia ein ganz besonderes Verhältnis: Die 74-Jährige hat ihre Enkelin erzogen, weil Mama und Papa arbeiten mussten. Jetzt kam die Schock-Diagnose Krebs. Anastasia machte sich auf den Weg ins Kriegsgebiet, um ihre Großmutter noch mal zu sehen.

Anastasia lebt seit fast einem Jahr in Holzhausen. Nach Ausbruch des Krieges ist die Deutsch-Studentin auf Drängen ihrer Eltern aus der Ukraine geflohen. Seitdem ist sie bei Udo Michaelis und Carmen Waßer-Michaelis untergekommen. Und die 23-Jährige ist angekommen in Deutschland. Anastasia hat einen Job in der Kinderbetreuung an der Offenen Ganztagsschule in Burbach gefunden und wird bald eine eigene Wohnung in Holzhausen beziehen.

Der Darmkrebs ist schon weit fortgeschritten

Im Januar bekam Anastasia aber eine schlimme Nachricht aus ihrer Heimat. Ihre Eltern erzählten am Telefon, dass bei Oma Ljubov Darmkrebs diagnostiziert wurde. Die Ärzte machen keine Illusionen. Der Krebs ist so weit fortgeschritten, dass kaum Chancen auf Heilung bestehen.

Für Anastasia natürlich ein Riesenschock. „Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meiner Oma. Sie hat mich quasi erzogen, weil meine Eltern viel arbeiten mussten.“ Dass Kinder mehr Zeit mit ihren Großeltern verbringen als mit den eigenen Eltern, sei in der Ukraine nicht selten, sagt Anastasia.


(Foto: Ein inniges Verhältnis: Anastasia verbrachte in ihrer Jugend viel Zeit mit ihrer Oma.)

Mit dem Hilfstransport ging es in die Ukraine

Für Anastasia war sofort klar: Sie will ihre Oma noch mal besuchen. Sie will zurück in ihr seit einem Jahr vom Krieg geplagtes Heimatland gehen. Ihre Gasteltern unterstützten sie bei diesem „Herzenswunsch“. Carmen Waßer-Michaelis stellte über Bekannte einen Kontakt zu Eduard von der Bibelmission her. Eduard ist im vergangenen Jahr schon zehnmal mit einem Hilfstransport in die Ost-Ukraine gefahren. Er sagte zu, Anastasia auf seiner nächsten Fahrt mit nach Kiew zu nehmen.

(Foto: Kurz vor der Abfahrt: Udo Michaelis aus Holzhausen brachte Anastasia zum Transporter von Eduard. Noch wohnt Anastasia bei Michaelis und seiner Frau im Haus. Im Mai wird sie in eine eigene Wohnung ziehen.)

Noch im Januar ging es los. 30 Stunden dauerte die Fahrt nach Kiew. Von dort hat sich die 23-Jährige übers Internet eine Fahrt in ihren Heimat Ort Krywyi Rih organisiert. Bis dorthin sind es weitere acht Stunden. Anastasias Eltern waren von dem geplanten Besuch nicht begeistert, schließlich hätten sie ihre Tochter gern weiterhin im sicheren Deutschland gewusst.


Ankunft in Kiew: kein Strom, aber „es war okay“

Wie war es für Anastasia, wieder in die Ukraine zu kommen? „Also ich war moralisch darauf gefasst, hier vieles nicht wiederzuerkennen. Aber als ich in Kiew ankam, war das wirklich okay“, sagt die 23-Jährige. Allerdings war es schon komisch zu sehen, dass in Kiew in den Abendstunden alles dunkel war. „Es gab keinen Strom. Die Straßenbeleuchtung war ausgeschaltet, und auch in den Fenstern brannte kein Licht.“


Zurück in Krywyi Rih: keine Spuren der Zerstörung

Nach einer Nacht in den Räumlichkeiten der Bibelmission ging es weiter. Vorher hatte sich Anastasia ein bisschen Sorgen gemacht, wie sich ihr Heimatort verändert haben könnte. Doch es war alles in Ordnung. Es habe im vergangenen Jahr zwar vereinzelt Raketeneinschläge gegeben. Doch wirkliche Spuren der Zerstörung entdeckte Anastasia in Krywyi Rih nicht. Richtig emotional wurde es dann in ihrem Elternhaus. Anastasias Eltern hatten der Oma nicht gesagt, dass die in Deutschland lebende Enkelin zu Besuch kommt.

(Foto: In diesem Haus in Krywyi Rih leben Anastasias Eltern gemeinsam mit der Oma. Ljubov ist die Mutter von Annies Vater.)


Überraschte Oma freut sich riesig

Als Anastasias Vater seine Tochter in Empfang genommen hatte, klingelte er in der gemeinsamen Wohnung. Oma Ljubov öffnet immer die Tür. Sie lässt dann den Hund nach draußen und wartet, bis der Vierbeiner die Treppen wieder hochgeschossen kommt. Statt des Hundes erschien aber plötzlich die seit einem Jahr nicht gesehene Enkelin. Die Freude war riesig.





Anastasia und Ljubov kochen gemeinsam

Wir haben den ganzen Abend nur in der Küche gesessen und uns einfach gefreut. Keiner hat geredet. Ich war zu Hause, aber das war irgendwie ganz anders“, sagt Anastasia. In den folgenden fünf Tagen verbrachte die Enkeltochter viel Zeit mit ihrer Oma. Die 74-Jährige hat lange Zeit ihres Lebens als Köchin gearbeitet. Deshalb war klar, dass die beiden gemeinsam Vareniki machen würden. Vareniki sind gefüllte Teigtaschen (häufig mit Kartoffeln). Ein Nationalgericht in der Ukraine.

(Foto: Den Teig für die Vareniki haben Oma und Enkelin selbst gemacht. Die Taschen werden üblicherweise mit einer Kartoffelmasse gefüllt und nach dem Kochen mit Schmand gegessen.)


Oma und Enkelin sprechen nicht über die Krankheit

Für Anastasia war es erschreckend zu sehen, wie viel ihre Oma abgenommen hat. Doch sie sprach Ljubov nicht auf ihre Krankheit an. Manchmal musste sie ihr aber sagen: „Leg dich doch mal auf die Couch und ruh dich aus.“ Denn wie sie es immer gewohnt war, wollte die Oma ihre Enkelin und die ganze Familie umsorgen.

Nach einer kurzen, aber intensiven Zeit, in der sie auch ein paar Freunde wiedergetroffen hat, ging es für Anastasia dann wieder zurück. Eduard sammelte sie in Kiew wieder ein und brachte sie sicher zurück in den Hickengrund.

(Foto: Anastasias Eltern arbeiten in einer Stahlfabrik. Sie wollten ihre Tochter, als der Krieg ausbrach, in Sicherheit wissen und ermutigten sie dazu, nach Deutschland zu gehen.)

Einige Ukrainer, die ebenfalls in Holzhausen untergekommen waren, sind zurück in die Ukraine gegangen. Das kann Anastasia nicht verstehen. „Es ist doch immer noch Krieg.“ Sie ist froh, dass sie ihre Oma noch mal besuchen konnte. Die 23-Jährige ist aber auch glücklich darüber, wieder in Deutschland zu sein. Wann sie das nächste Mal in ihre Heimat fahren wird, weiß Anastasia noch nicht.