Serdar selbst war 25 Jahre lang professioneller Musiker als
Schlagzeuger und Sänger. Jetzt betreibt er die Musik nur noch als Hobby.
Er unterstützt mehrere musikalische Projekte mit deutschen, türkischen,
kurdischen, arabischen und spanischen Musikern. Was die Stilrichtung
betrifft ist er ein Allrounder: Rock-Covers der 70er und 80er,
Ethno-Rock, Latin, Jazz und traditionelle türkische Musik. Er tritt
immer noch gern live auf, sofern es sich zeitlich mit seinen zwei
Berufen vereinbaren lässt. Neben dem Betreiben seiner Gaststätte ist er
Immobilienmakler.
Schon
bevor ich von Serdars musikalischen Aktivitäten erfuhr, war ich
Stammgast in seinem Bistro. Außergewöhnlich ist hier, dass es keine
Speisekarte gibt. Die täglich wechselnden mediterranen Gerichte kann man
sich in einer Vitrine ansehen. Nachdem man die Speisen erklärt bekommen
hat, bestellt man Hauptspeise und Beilagen in der gewünschten
Kombination.
Sehr beliebt sind Serdars Lammgerichte. Mein persönlicher Favorit ist
allerdings die Fischpfanne. Alle Hauptgerichte sind Serdars ureigenste
Kreationen. Wenn man ihn gut kennt, kann man ihm vielleicht das ein oder
andere Rezept abschwatzen. Allerdings gelingt das nicht immer, denn
Serdar gibt manche Geheimnisse aus geschäftlichen Gründen nicht preis -
na ja, ist ja auch verständlich.
Udo Michaelis: “Serdar, erzähl doch mal etwas über Dich.”
Serdar Akarsu: “Vor 53 Jahren wurde ich im Südosten der Türkei
geboren und kam 1971 nach Deutschland. Seit drei Jahren bin ich
geschieden und alleinerziehender Vater. Mein Sohn Sebastian wird in den
nächsten Tagen 15 Jahre alt.”
“Sebastian ist nicht unbedingt ein typisch türkischer Name. Wie ist es dazu gekommen?“
“Mein
Sohn ist in Deutschland geboren. Wir haben Deutschland immer als unsere
Heimat angesehen. Integration hat für uns einen hohen Stellenwert. So
war es nahe liegend, unserem Kind einen in Deutschland gebräuchlichen
Namen zu geben. Allerdings finde ich es auch wichtig, die eigene
Herkunft nicht zu verleugnen. Meine Ex-Frau ist eine aus Mazedonien
stammende russisch orthodoxe Christin. Ich selbst stamme aus einer
islamischen Familie. Sebastian fühlt sich in erster Linie als Deutscher
und hat überwiegend deutsche Freunde. Wir haben ihm allerdings auch viel
von unserer Kultur und Lebensweise vermittelt und dadurch Impulse
gegeben, seinen eigenen Horizont zu erweitern. Er verfügt aber über die
Freiheit, ob und wie er diese Elemente in sein eigenes Leben einfließen
lässt. Es ist doch interessant, dass nicht nur eine Gesellschaft,
sondern sogar ein einzelner Mensch multikulturell sein kann.”
“Wie beurteilen Deine türkischen Landsleute diese Art der integrativen Lebensweise?”
“Meistens wohlwollend, aber nicht immer. Bei Muslimen, wie bei
Christen gibt es unterschiedliche Weisen, den Glauben zu praktizieren.
Für mich ist es völlig o. K., wenn Gläubige ihre Religion engagiert
leben und ihr einen hohen persönlichen Stellenwert geben. Wenn es aber
zu Engstirnigkeit und Ablehnung aller Andersdenkenden führt, finde ich
das bedenklich. Ich meine, dass wir trotz aller religiösen und
kulturellen Unterschiede bereit sein sollten, andere zu akzeptieren,
voneinander zu lernen und Vorurteile abzubauen. Ich freue mich, dass ich
durch mein Bistro etwas zu diesem Prozess der Entspannung beitragen
kann.”
“Inwiefern?”
“Der überwiegende Teil meine Gäste besteht zwar aus Deutschen, es
kommen aber auch Menschen anderer ethnischer Gruppen. Wir erleben es,
wie islamische Türken mit Kurden, Aramäern und Jesiden an einen
Tisch sitzen und sich verstehen. Man hört zwar immer wieder davon, dass
diese Bevölkerungsgruppen Stress miteinander haben, doch bei uns klappt
der Dialog. Um das zu erreichen habe ich ein simples Bindemittel
eingesetzt.”
“Und wie heißt das Zaubermittel?”
“Serdars rote Linsensuppe - auf die fahren fast alle ab (mit einem Augenzwinkern).”
“Wieso bezeichnest Du Deine Gaststätte als Kulturbistro?”
“Weil es neben dem Hauptaspekt, Essen und Trinken, eine kulturelle
Begegnungsstätte ist. Trotz unserer kleinen Räumlichkeiten finden hier
Konzerte und Jam-Sessions statt. Es gab auch schon Bilderausstellungen
und eine Lesung, deren Thema ich eigentlich als geschäftsschädigend
bezeichnen müsste: ‘Essen, ohne zu kochen.’ Andererseits kommen
Rohkost-Fans bei uns auch auf ihre Kosten. Wir haben immer eine ganz
nette Auswahl frischer Salate.”
“Hast Du irgendwelche Zukunftspläne?”
“Ich
möchte eine neue Dienstleistung weiter ausbauen. Durch die Kombination
von Catering und unseren kulturellen Möglichkeiten können wir
Partyveranstaltungen der besonderen Art anbieten. Es ist möglich ein
Programm mit einem DJ, einer internationalen Rockband, einer türkischen
Band, einer Ethno-Band oder Bauchtänzerinnen anzubieten.”
“Zum Schluss interessiert mich noch, ob Du ein bestimmtes Erfolgsrezept hast.”
“Behandle andere Menschen so, wie Du von ihnen behandelt werden
möchtest. Sei einfühlsam und höre zu, was sie interessiert. Schaffe eine
Atmosphäre, in der sie sich wohl fühlen. So werden aus Besuchern
Stammgäste. Das Besondere an unseren Stammgästen ist, dass sie auch
untereinander einen intensiven Kontakt entwickeln. Wir haben hier schon
erlebt, wie Ehen entstanden sind und sich neue Bands gegründet haben.
Mancher kam, um seinen Trennungsschmerz herunter zu spülen und fand
einen verständnisvollen Zuhörer. Auf Dauer kann ein Geschäft nur dann
erfolgreich sein, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht.”
Anmerkung 2011: Leider ist Serdar’s Bistro inzwischen
geschlossen. Serdar erklärte mir, er wolle ein wenig “kürzer treten” und
müsse jetzt einfach mal an seine Gesundheit denken. Nun beschränkt er
sich auf Catering-Service und seine Tätigkeit als Immobilienmakler. Das
ist aus seiner Sicht natürlich verständlich, für seine Stammgäste
allerdings bedauerlich. Aber wer weiß, vielleicht wird er ja eines Tages
noch einmal etwas ähnliches aufziehen.
Möglicherweise lässt sich ja auch einer der Leser von dem Konzept
inspirieren und eröffnet ein Kulturbistro. Es gibt zwar reichlich
Gaststätten in Deutschland, aber diese Art ist sicherlich eine gute
Marktnische. Wichtig dabei ist, “mit Herz” an die Sache ran zugehen, wie
Serdar es tat.
Anmerkung 2012: Serdar hat in Steinhagen (Westf.) wieder ein neues Kultur-Bistro eröffnet.
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