Neulich unternahm ich zusammen mit Malte einen Ausflug aufs Land und
besuchte eine Veranstaltung, die gemeinsam von der dörflichen Verwaltung
und der dort ansässigen Kirchengemeinde organisiert wurde. Eine
Dorfpersönlichkeit nach der anderen hielt eine Rede und anschließend gab
es Kaffee und Kuchen. Es hätte mir kaum etwas langweiligeres passieren
können, als diese Dumpfbackenparade. Wahrscheinlich wäre selbst ein
Vortrag zum Thema “Das richtige Öffnen von Konservendosen und ihre
Auswirkung auf die Scheidungsstatistik des Jahres 2009″ interessanter
gewesen. Auch das Publikum war nicht unbedingt mein Fall - lauter
Pollunderträger, Topflappenhäkler und Eierpappenaufbewahrer. Je länger
ich mich im Raum umschaute, desto mehr gewann ich die Überzeugung, von
lauter Kaffefahrt-Junkies umgeben zu sein.
Der beste Redner von allen war ein Missionar aus Äquatorial-Guinea.
Müsste ich Schulnoten vergeben, er bekäme als einziger Sprecher eine
“Vier Plus”. Unter den Blinden nunmal ist der Einäugige König. In
Erinnerung ist mir allerdings nicht sein Vortrag geblieben, sondern ein
Witz, den er anschließend beim gemütlichen Beisammensein zum Besten gab.
Dieser ging folgendermaßen:
“Ein
Elefant suchte zum Wassertrinken einen Teich auf. Das letzte Mal, als
er das tat, begegnete ihm ein Krokodil. Nun war dieser Elefant eine
wahre Spaßkanone. Nachdem er seinen Durst gelöscht hatte, füllte er
seinen Rüssel mit Wasser und verpasste damit dem Krokodil, das gerade am
Ufer gemütlich in die Sonne lag, eine ungewünschte Dusche. Diesmal war
es jedoch anders. Während der Elefant trank, nahm er das Krokodil
überhaupt nicht wahr, weil es unbemerkt unter der Wasseroberfläche lag.
Nun war die Stunde der Rache gekommen! Das Krokodil schlich sich
tauchend heran, packte blitzschnell zu und biss dem Elefant den Rüssel
ab. Der Elefant daraufhin mit nasaler Stimme: Thag mal - findetht du
dath eigentlich luthtig?”
Der Witz war der Brüller des Tages. Malte rief mir begeistert zu:
“Ey, der war der Oberhammer! Wir sind doch morgen Abend auf Kevins
Party. Den muss ich dort unbedingt erzählen!” Am
nächsten Abend traf ich Malte, wie verabredet, vor Kevins Wohnung. Wir
gingen gemeinsam hinein. Es waren zu diesem Zeitpunkt erst etwa zehn
Gäste anwesend, aber die anderen trudelten im Laufe der nächsten halben
Stunde ebenfalls ein. Auf der Party gab es ein ziemlich gemischtes
Publikum - einige Hardcore-Rocker, ein paar Simon & Garfunkel-Punker
und sogar auch völlig normale Menschen. Kurz nach Mitternacht schlug
Maltes Stunde. Erst erzählte er zwei kurze Gags zum warmwerden und dann
kam der Witz, den er am Vortag vom Missionar gehört hatte.
Die
Leute waren gespannt, ganz besonders eine hübsche Blondine, die uns
gegenüber stand. Als Malte zu der Stelle kam, wo sich das Krokodil
unbemerkt heranschlich, lächelte die Blondine und öffnete dabei leicht
ihren Mund. Was Malte dann erblickte, brachte ihn völlig aus dem
Konzept. Die Frau trug eine Zahnspange. Ich verstand sofort, warum Malte
plötzlich so nervös wurde. Zahnspangen haben leider manchmal den
ungeliebten Nebeneffekt, dass sie beim Sprechen Zischlaute mit leicht
nasalem Unterton hervorrufen können. Bei der Pointe könnte die Frau
vermuten, Malte wolle sie verarschen und dann er hätte bei ihr
verschissen.
Zahnspangen - das ruft bei mir Erinnerungen aus meiner Kindheit
hervor. Zum Glück musste ich nie eine tragen - obwohl, wenn ich mir
heute meine schief gewachsenen Zähne ansehe, dann wünschte ich mir
manchmal doch … nein, diesem Gedanken möchte ich jetzt lieber keinen
Raum geben. Zahnspangenträger wurden damals in unseren Kreisen
erbarmungslos gehänselt und gegretelt. Wir teilten sie in zwei
Kategorien ein: “Innies” und “Outies”. “Innies” hatten zumindest den
Vorteil, dass man ihre Zahnspange nur sehen konnte, wenn sie den Mund
aufmachten. Bei den “Outies” war das anders. Sie bekamen in ihre Spange
einen Bügel eingehängt, der außen um das Gesicht herumging und im Nacken
einen Gummizug hatte. Das sah echt scheiße aus!
Rolf, einer unserer Nachbarjungs, war ein “Outie”. Doch ihm schien es
nicht so viel auszumachen, wie vielen anderen Zahnspangenträgern - ganz
im Gegenteil: Er nutzte sein “Outie-Monstrum” regelmäßig dazu, um
Aufmerksamkeit zu erregen und Blödsinn damit anzustellen. Nachdem Rolf
eine Weile mit seinem Zahnspangenbügel herumexperimentiert hatte,
stellte er fest, dass man damit sogar Musik machen konnte. Je nachdem,
wie man den Bügel bog, war es möglich, damit unterschiedliche Töne zu
erzeugen - naja, “Töne” ist vielleicht übertrieben - ich würde eher
sagen “Geräusche”. Einmal präsentierten wir auf unserem Schulhof den
Titelsong aus dem Western “The Good, the Bad and the Ugly” - oder auf
Deutsch “Zwei glorreiche Halunken”. Ich pfiff die ersten fünf Töne und
Rolf antwortete auf seinem Zahnspangenbügel mit “Plöng, plöng, plöng”.
Egal, ob damals oder heute - ich dachte immer, nur Kinder oder
maximal pubertierende Jugendliche würden Zahnspangen tragen. Aber die
Frau auf Kevins Party war schätzungsweise Anfang Dreißig. Wieso hatte
sie in diesem Alter noch eine Baustelle in ihrem Esszimmer? Hätte man
das nicht regeln können, als sie noch ein Kind war?
Malte geriet ins Stocken. Noch bevor er die Pointe verraten hatte,
brach er ab und sagte mit belegter Stimme: “Ach, der Witz ist eigentlich
gar nicht so gut! Ich erzähle euch einen anderen: Kommt ein Mann zum
Arzt …” Ein baumlanger Kerl fuhr dazwischen: “Ey, ich möchte den Witz
noch zu Ende hören. Du kannst danach ja noch den anderen erzählen!” “Ach
nee!”, widersprach ihm Malte, “der ist echt nicht so gut!” “Das kannst
du hier aber nicht bringen, erst einen Witz anfangen und dann nicht
weitermachen!” Der Typ ließ sich nicht abschütteln. Irgendwie wirkte er
ziemlich furchterregend - so ein richtiger
“Bier-mit-den-Zähnen-Aufmacher”.
“Na
gut, ich erzähle weiter: Also, das Krokodil schwamm auf den Elefanten
zu und … ach, der Witz ist total bescheuert! Soll ich nicht doch einen
anderen erzählen?” Jetzt schaltete sich Kevin ein: “Los Malte, ist doch
egal! Wir wollen jetzt alle diesen Witz hören!” Die übrigen Anwesenden
unterstützten das durch ein halblautes “Ja!”, oder per Kopfnicken. Malte hatte keine Ahnung, wie er aus dieser Nummer rauskommen sollte.
Er seufzte tief: “Na, von mir aus! Das Krokodil tauchte zum Elefanten,
packte blitzschnell zu und biss ihm dem Rüssel ab. Der Elefant ging
daraufhin traurig weg. Dann kam ein anderer Elefant, um Wasser zu
saufen. Das Krokodil war immer noch da!” Maltes Hände waren schweißnass!
Er stammelte herum, um Zeit zu gewinnen. “Also, das Krokodil tauchte,
schlich sich heran und biss auch dem zweiten Elefant den Rüssel ab … äh …
und dann … äh … ging der Elefant auch weg. Dann kam ein kleiner Elefant
… hmm … ähm … und das Krokodil biss auch ihm den Rüssel ab … dann lief
der kleine Elefant zu seiner Mama. Dann kam noch ein Elefant zum Wasser
und das Krokodil biss auch ihm den Rüssel ab.” Plötzlich unterbrach ihn
die Blondine mit der Zahnspange. Sie verdrehte ihre Augen und sagte:
“Thag mal - findetht du dath eigentlich luthtig?”
Fotos © PIXELIO
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