Donnerstag, 17. April 2014

Das Kreuz - Gedanken zum Karfreitag (Teil 2)

Während der erste Teil dieses Thema ziemlich theoretisch und theologisch war, dann geht es im zweiten Teil um eine gewaltige persönliche Herausforderung. Sie geht “unter die Haut”, wenn man sie richtig begriffen hat.

Vor einigen Jahren hatte es mich kurz vor Weihnachten umgehauen, und ich war zwei lang Wochen krank. An dem schlimmsten Tag meiner Krankheit befand ich mich mit Fieber in einer Art “Dämmerzustand”. Mein Verstand funktionierte nicht mehr in der üblichen Weise und trotzdem, oder vielleicht sogar gerade deshalb, erreichte meine Sinne ein Bild, das mich seitdem nicht mehr losgelassen hat. Ich kannte die Geschichte von der Kreuzigung sehr gut und war imstande, alle Einzelheiten und Aussagen wiederzugeben. Trotzdem kam es mir so vor, dass ich an diesem Tag zum ersten Mal erfasst habe, was “Vergebung” wirklich bedeutet.

Jesus hat am Kreuz gerufen: “Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!”  Wieso sollten die beteiligten Römer und Juden denn nicht gewusst haben, was sie tun? Waren die denn blöd, oder was? Sie hatten einen Mann hingerichtet, der sich nie etwas zu schulden kommen ließ, Menschen in Not half und die Liebe auf eine Weise lebte, wie es sie kein zweites Mal gab. Ganz so einfach ist das aber nicht. Wenn wir dieses Ereignis aus der Distanz betrachten, ist es nicht schwer zu einer realistischen Einschätzung des Sachverhaltes zu kommen.

Die beteiligten Menschen jedoch hatten aufgrund verschiedener Einflüsse eine verzerrte Wahrnehmung. Es gab einige Drahtzieher, denen es gelang, das Volk gegen Jesus aufzuwiegeln. Es fing im Kleinen an und führte dazu, dass bald überall die Rufe “Kreuzigt ihn, kreuzigt ihn!” erklangen. Sie wirkten als Suggestion wie eine Gehirnwäsche. Vielleicht haben die römischen Oberbefehlshaber ihren Soldaten vermittelt, dass Jesus für das Imperium eine Gefahr darstellt und als Verräter und Volksverführer seiner gerechten Strafe nicht entgehen durfte. Die ausführenden Menschen waren davon überzeugt, etwas Gutes und Richtiges zu tun, und waren sich der Tragweite ihres Handelns nicht bewusst. Ihr Handeln mag böse gewesen sein, ihre Motive waren es jedoch nicht. Jesus wusste das genau als er rief: “Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!” Er selbst hatte ihnen in diesem Moment bereits vergeben.

Was fangen wir nun mit dieser Erkenntnis an? Wie integrieren wir Karfreitag in unser eigenes Leben? Vergeben zu können ist auf jeden Fall gut, das war mir auch schon früher bereits klar. Durch meine Vergebung geht es mir selbst besser und auch dem Menschen, dem ich vergebe. Ich muss mir allerdings eingestehen, dass es mir oft einfach nicht gelang. Es schien so unsagbar schwer, das konsequent zu praktizieren.

Um zu verdeutlichen, warum das so ist, möchte ich Euch zu einem Experiment einladen. Stellt Euch eine Situation vor, in der ihr unter dem Handeln eines anderen Menschen gelitten habt. Dann sagt Ihr den Satz: “Dieser Mensch hätte anders handeln können und müssen. Er hat mir absichtlich wehgetan”. Beobachtet dann, was mit Euren Gefühlen passiert. Wenn Ihr genau darauf achtet, werdet Ihr sogar körperliche Symptome wahrnehmen.

Bringt Euch danach in einen einigermaßen neutralen Emotionszustand. Dann begebt Ihr Euch in genau die gleiche Situation, sprecht aber etwas anderes zu Euch: “Dieser Mensch konnte nicht anders handeln. Er hat sein Bestes gegeben und hat mir zu keinem Zeitpunkt schaden wollen. Es wusste nicht, dass er mir weh tut und deshalb trifft ihn keine Schuld.” Spürt Ihr den gewaltigen Unterschied in Euren Gefühlen?

Richtig vergeben könnt Ihr nur, wenn Ihr Euer Urteil zurücknehmt. Eure Gefühle sind bisher immer davon ausgegangen, der andere sei ein richtiges A… und wollte Euch absichtlich etwas Böses antun. Das ist aber ein Beurteilungsfehler. Ich möchte jetzt nicht missverstanden werden: Das hier soll keine Aufforderung sein, eine falsche Handlung oder eine verletzende Tat zu verleugnen oder schön zu reden. Es geht darum, zu verinnerlichen, welches Motiv hinter dem Handeln steht. Viele Menschen machen grobe Fehler, wollen aber eigentlich etwas Gutes bezwecken. Sie sind sich der Tragweite Ihres Handelns nicht bewusst, genauso wie die Menschen, die Jesus ans Kreuz geschlagen haben. Wenn Ihr diese Erkenntnis beherzigt, erlebt Ihr eine emotionale Revolution und Ihr werdet feststellen, dass Vergebung möglich ist.

Fotos © : Dieter Schütz / PIXELIO

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