Dienstag, 5. März 2024

Die Zeit ist reif


Nach meinem Artikel über das Konzert von Heinz Rudolf Kunze und sein Lied „Igor“ habe ich mich entschlossen, einen weiteren Artikel über diesen Musiker zu schreiben. Dieser hatte vor, im Jahr 2021 eine Tournee zu seinem 40-jährigen Bühnenjubiläum zu machen. Leider durfte er in diesem Jahr aufgrund der Corona-Situation nicht auftreten und so fand seine Tournee erst im folgenden Jahr statt. Ein Live-Album mit den Liedern dieser Tournee erschien ebenfalls 2022. Darauf sind neben den Songs auch die Ansagen von Heinz Rudolf zu hören. Eine dieser Ansagen hat mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu tun. Ihr könnt diesen nach der Überschrift „Boris Romantschenko“ komplett lesen und anschließend den Text des Liedes „Die Zeit ist reif“.

Boris Romantschenko

Als die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg diese Stadt eroberte und wieder verlor und wieder eroberte und dann endgültig verlor, hieß sie Charkow. Heute heißt sie Charkiw, aber sie liegt noch immer in der Ukraine. Dort lebte bis vor wenigen Tagen in der ersten Märzhälfte des Jahres 2022 Boris Romantschenko. 96 Jahre alt ist er geworden, viel hat er erlebt und viel Furchtbares überlebt, vor allem Hitlers Konzentrationslager und Vernichtung-durch-Arbeit-Lager Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen-Belsen.

Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora ist er gewesen. Regelmäßig kam er zu Gedenkveranstaltungen nach Deutschland. Er trug seine Häftlingsjacke samt seiner Häftlingsnummer und dem roten Winkel für politische Gefangene mit einem schwarzen R. Das R stand für Russe, nicht für Ukrainer. Damals war der Ukrainer Boris Romantschenko eben auch Russe. Heute ist das anders.

In der ersten Märzhälfte des Jahres 2022 bombardieren russische Truppen die ukrainische Stadt Charkiw, um das angebliche Bruderland Ukraine wieder mit Russland zu vereinen und um es - so Präsident Putin - zu „denazifizieren“. Der 96jährige Boris Romantschenko wollte seine Wohnung nicht mehr verlassen. Der ehemalige KZ-Häftling Boris Romantschenko starb durch eine russische Rakete, die ihn denazifizieren sollte.

Boris Romantschenko - wir werden auch diesen Namen wieder vergessen, aber wir dürfen nicht! Wir dürfen das nicht! Gerade wir dürfen das nicht! Niemals!

Die Zeit ist reif


Ich hab' nie gesagt, dass es einfach ist,
dass es mühelos passiert.
Keine Medizin, kein Patentrezept,
helfen, wo die Angst regiert,
tief in uns drin
und wir wissen, wohin sowas führt.

Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen
und ein Silberstreif soll den Menschen Hoffnung machen.
Lasst euch nie mehr mit Gespenstern ein!
Es muss anders sein!

Die Zufriedenheit, die man daraus zieht,
dass man keine Ruhe gibt,
ist ein hohes Gut, denn gesunde Wut,
die bergauf den Felsblock schiebt.
Die ist was wert, weil nur das uns gehört,
was man liebt.

Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen
und ein Silberstreif soll den Menschen Hoffnung machen.
Es darf nie mehr so wie früher sein.
Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen
und ein Silberstreif soll den Menschen Hoffnung machen.
Stellt euch nie mehr stumm, taub, blind und klein.

Nur so weiter geht es nicht,
das ist Menschenrecht und -pflicht.
Eure Kinder schau'n euch fragend an.
Zwingt euch, dass zusammenpasst,
was ihr ihnen hinterlasst,
eine Welt, in der man leben kann!

Es darf nie mehr so wie früher sein!

Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen
und ein Silberstreif soll den Menschen Hoffnung machen.
Lasst euch nie mehr mit Gespenstern ein!
Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen
und ein Silberstreif soll den Menschen Hoffnung machen.
Lasst euch nie mehr mit Gespenstern ein!
Es muss anders sein!

Dienstag, 6. Februar 2024

Igor

Am 25. Januar war ich in Düsseldorf auf einem Konzert von Heinz Rudolf Kunze. Ursprünglich wollte ich mit meiner Frau dort hin und hatte ihr das Ticket zum Geburtstag geschenkt. Leider kam eine Operation dazwischen, meine Frau hat genau in diesem Zeitraum ein neues Kniegelenk bekommen.

Damit das zweite Ticket nicht verfällt, ist unser Freund Burkhard mit mir zum Konzert gefahren. Heinz Rudolf ist es wieder einmal gelungen, mit seiner Band eine tolle Performance hinzulegen. Nach seinem Auftritt habe ich mich mit Burkhard darüber unterhalten, was uns an diesem Abend am meisten bewegt und berührt hat. Wir waren uns sofort einig, dass es nicht seine Hits waren, die wir lauthals mitgesungen haben. Es war auch nicht das geniale Klavierspiel von Heinz Rudolf oder die tollen Soli des Gitarristen und des Keyboarders. Das war alles absolut super, genau wie die mega Stimmung in der Halle. Was uns geflash und in gewisser Weise betroffen gemacht hat, war das Lied "Igor" von seinem neuen Album "Können vor Lachen".

Ich will gar nicht so viel darüber schreiben - lasst einfach den Text, die Musik und die Bilder vom Video auf euch wirken und schaut, was es mit euch macht!

Igor aus Sankt Petersburg,
zwanzig Jahre alt,
kindlich ängstlich sein Gesicht,
schmächtige Gestalt,
steht in Kiew vor Gericht,
endlos leer sein Blick,
Urteil lebenslänglich,
nie mehr geht’s zurück.

Igor aus Sankt Petersburg,
russischer Soldat,
sollte die Ukrainer töten,
wie ein Automat.
Igor hat sehr schnell begriffen,
Igor ist nicht blind,
dass die Menschen der Ukraine
keine Feinde sind.

Wie geht es Ihnen Herr Putin?
Wie schlafen Sie bei Nacht?
Hören Sie im Kreml 
je den Donner einer Schlacht?

Wie geht es Ihnen Herr Putin?
Wie schlafen Sie bei Nacht?
Was haben Sie mit diesem Jungen
aus Leningrad gemacht?

Igor aus Sankt Petersburg
(früher Leningrad)
hat sie vor Gericht gestanden
seine schlimme Tat.
Igor hat aus Todesangst
sinnlos Blut vergossen,
einen wehrlos alten Mann
auf Befehl erschossen.

Igor aus Sankt Petersburg
hat noch nie geliebt,
hat nicht die geringste Ahnung
wie viel Welt es gibt.
Igor hat sein ganzes Leben 
jetzt schon hinter sich,
hinter den Gefängnismauern
läßt es ihn im Stich.

Wie geht es Ihnen Herr Putin?
Wie schlafen Sie bei Nacht?
Haben sie ein einziges Mal
an solche Jungs gedacht?

Wie geht es Ihnen Herr Putin?
Würden sie sich trauen,
Igor aus Sankt Petersburg
ins Gesicht zu schauen?

Wie geht es Ihnen Herr Putin?
Wie schlafen Sie bei Nacht?
Und wohin werden die halben Kinder
aus Mariupol gebracht?

Sonntag, 28. Januar 2024

Hilfstransport Ukraine 2 - Team Eduard

Heute nun der Bericht der zweiten Initiative, die ebenfalls von uns unterstützt wird. Am 12. Januar machte sich Eduard mit seinen Mitstreitern Jan und Artjom auf den Weg in die Ukraine. Die in der Ukraine benötigten Decken, warme Kleidung, Hygieneartikel, Lebensmittel und weitere Artikel inklusive vieler Weihnachtspäckchen wurden in den Transporter verladen und los ging's.

Am folgenden Abend erreichten Eduard, Jan und Artjom Kiew. Sie konnten in der dortigen Gemeinde übernachten und Vorbereitungen für die nächsten Tage treffen, wie Lebensmittel, die sie zuvor gekauft hatten, in Pakete packen. Da die zusätzlichen Einkäufe nicht mehr in den Transporter passten, beluden sie in Kiew ein weiteres Fahrzeug.

Am nächsten Morgen ging es um 6 Uhr mit den beiden Fahrzeugen auf den Weg Richtung Osten in die Nähe von Dnipro. Unterwegs nahmen sie noch einen Arzt mit, der den Menschen vor Ort helfen sollte. Es wurden bedürftige Familien besucht, um ihnen warme Kleidung und Lebensmittelpakete zu überreichen. Die Helfer durften erleben, wie gestrickte Socken oder Jacken Kinderaugen zum Leuchten bringen.

Auch in den nachfolgenden Tagen hatten die Helfer eindrucksvolle Erlebnisse. In einem Pflegeheim haben sie Obst, Kekse und andere Süßigkeiten verteilt, welche die Menschen dort sonst nur sehr selten bekommen. Alle haben sich gefreut und manche haben vor Freude geweint.

Nicht nur Hilfsgüter wurde verteilt, Eduard, Jan und Artjom haben die Menschen in Not auch tatkräftig unterstützt. Für zwei Familien haben sie Holz klein gehackt und ihre kleinen Holzstapel wieder aufgefüllt.

Sehr beeindruckend waren auch die Erfahrungen im Kriegsgebiet. An Stellen im Freien wie einer Bushaltestelle, einer Kreuzung, einer Sackgasse und einer Freifläche, an der etwas Ruhe war, wurden Lebensmittelpakete und Hygieneartikel verteilt. Eduard, Jan und Artjom sind engagierte Christen. Ihnen ist es wichtig, ihre humanitäre Hilfe damit zu verbinden, den Menschen von der Liebe Gottes zu erzählen und ihnen Hoffnung zu machen. "Durch Gottes Gnade konnten wir den Menschen, die seit zwei Jahren im Krieg leben, ein Lächeln ins Gesicht zaubern", berichtet Eduard. Sehr dankbar ist er für seine "Glaubensgeschwister", welche in ihrem Ort geblieben sind, obwohl sie die Möglichkeit gehabt hätten, diesen zu verlassen. "Sie kümmern sich um die Menschen vor Ort und machen einen unglaublich wichtigen und gleichzeitig harten Job", bemerkt Eduard und appelliert gleichzeitig an seine in Deutschland lebenden Freunde: "Betet, dass ihnen nie die Kraft ausgeht!"

In Torezk, welches in der Nähe von Donezk liegt, besuchten sie einige Familien, deren Wohnungen und Häuser durch Raketenangriffe zerstört wurden. Sie leben seit ungefähr eineinhalb Jahren ohne fließendes Wasser und nutzen Regenwasser, um sich zu waschen. Auch Strom steht ihnen nur gelegentlich und wenn, nur kurzzeitig zur Verfügung. Die Familien leben teilweise schon seit einem bis eineinhalb Jahren in Kellern, um sich zu verstecken.

"Wir fahren wieder nach Hause, aber unser Geschwister und die Menschen vor Ort leben weiter in Angst und in der Ungewissheit, was morgen sein wird", kommentierte Jan am Tag vor ihrer Rückreise. Er ist aber auch dankbar für die Bewahrung und die Möglichkeit, die Menschen in der Ukraine, die unter schwierigen Umständen leben, zu unterstützen und zu ermutigen. Und Eduard fügte hinzu: "Vergesst diese Menschen bitte nicht!"

Verteilung von Hilfsgütern im Kriegsgebiet

Mittwoch, 24. Januar 2024

Hilfstransport Ukraine 1 - Kryla Volunteera

Wir unterstützen regelmäßig zwei Initiativen für Hilfstransporte in die Ukraine. Unsere Anastasia, von der hier schon öfters die Rede war, ist mit beiden Initiativen bereits einmal in die Ukraine gefahren. Über Eduard und seinen Hilfstransport vom Januar werde ich in den kommenden Tagen berichten. Heute stelle ich euch Illia Lohinov vor, der im Dezember in der Ukraine war.

Illia hat in der Vergangenheit schon sehr oft Hilfsbedürftige in der Ukraine aus Eigeninitiative unterstützt. Nun arbeitet er für "Kryla Volunteera", die seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine ein breites Spektrum an Hilfeleistungen abdeckt, für die Zivilbevölkerung in den Frontgebieten der Ukraine, Waisenkinder in Internaten, die breite Öffentlichkeit und das Militär. In den letzten 6 Monaten haben beispielsweise viele Behinderte, Binnenvertriebene, ältere Menschen und Witwen sowie kinderreiche Familien davon profitiert, die von der Organisation Hygieneartikel, Waschmittel, Konserven, warme Kleidung und finanzielle Zuwendungen erhalten haben.

Illia selbst hat Weihnachtsgeschenke für 200 Waisenkinder gekauft. Es wurde ein Treffen organisiert, bei dem man den Kindern von Weihnachten erzählt hat und jedes der Kinder ein Weihnachtsgeschenk bekam. Es waren zwar weitere Treffen geplant, doch da wieder Schießereien begannen, musste Illia so schnell wie möglich das Gebiet wieder verlassen. Trotzdem gelang es noch, alle Hilfspakete auszuliefern. Die Menschen dort waren sehr dankbar, viele weinten und sagten, dies sei die erste Hilfe, die sie während des Krieges erhalten hätten.

In Deutschland hat Illia einen VW T4 gekauft, um Verwundete von der Front zu evakuieren. Dieses Fahrzeug wurde zunächst repariert. Mit unseren Freunden und Bekannten aus dem Siegerland haben wir einige Geld- und Sachspenden zusammen bekommen. Diese wurden verwendet, um den T4 für humanitäre Hilfe mit Medikamenten, Konserven, warmen Decken und anderen Haushaltsgegenständen zu beladen. Zwei weitere Fahrzeuge, eines davon ein Krankenwagen, wurden ebenfalls in die Ukraine geschickt. Die Fahrzeuge gingen an die 10. Sonderbrigade der Gebirgsjäger und die 115. Brigade.

Illia ist weit in den Osten der Ukraine gefahren. Er war in den Orten Sumatoivka, Krasnopolye, Pokrovka und im Bezirk Krasnopolsky unterwegs.

Der nächste Hilfstransport von Illia startet voraussichtlich im Februar. Auch für diesen werden wir wieder Geld- und Sachspenden sammeln. Wer uns hier unterstützen möchte, kann uns gerne kontaktieren.

Illia auf dem Weg in die Ukraine

Hilfsgüter

Treffen mit den Waisenkindern





Donnerstag, 26. Oktober 2023

Das Trauma des 7. Oktobers in Israel


Seit mehr als 1 1/2 Jahren veröffentliche ich in diesem Blog ausschließlich Artikel, die sich auf den Krieg in der Ukraine beziehen. Heute ändere ich das, indem ich den Schauplatz wechsele. In der Ukraine geschehen nach wie vor schlimme Dinge, nun auch in Israel.

Ich habe einen Bericht des Juden Assaf Zevi über die Ereignisse des 7. Oktobers angehängt, der mich erschüttert und mir die Tränen in die Augen getrieben hat. Dieses Audio ist nichts für schwache Nerven. Ich habe Verständnis dafür, wenn du es dir nicht anhörst, um dich nicht den hier geschilderten Grausamkeiten auszusetzen. Sollte das der Fall sein, habe ich trotzdem etwas für dich, was die Welt erfahren sollte. Im Dunkel der Grausamkeiten gibt es auch Licht. Ich habe für alle, die sich das Audio nicht anhören, ein Ereignis herausgezogen, das „die andere Seite“ zeigt:

In Omer, einem Vorort von Beersheba, haben 7 Jugendliche einen Minibus bestellt. Die Busfirma gehört einem arabisch-muslimischen Beduinen, der sie dann Freitag zu einer Party gefahren hat. Es wurde vereinbart, dass er sie am Samstag um 13 Uhr wieder abholt. Um 6:30 Uhr rufen die Jugendlichen ihn an, es wäre Raketenalarm, sie können hier nicht bleiben und ob er früher kommen könne. Er sagt „Natürlich“ und steigt ins Auto. An der Kreuzung sagt ihm schon ein Polizist: „Nein, nein, nein, da wird geschossen, du kannst nicht reinfahren!“ Der Fahrer sagt: „Aber meine Leute sind drin!“ Er fährt unter Beschuss rein, nimmt die sieben mit und stopft seinen Minibus mit 30 Personen voll. Da er weiß, dass er und alle anderen erschossen werden, wenn er über die asphaltierte Straße zurückfahren würde, fährt er über einen Acker, wo er weniger gesehen wird. Unterwegs sieht er ein flüchtendes Paar mit Schusswunden. Obwohl eigentlich kein Platz mehr im Auto ist, nimmt er die beiden auch noch mit. Er rettet damit 32 Personen das Leben. Eine unglaubliche Heldentat - und damit ist die Geschichte noch nicht vorbei: Am nächsten Tag werden 600 freiwillige Beduinen mobilisiert, die mit ihren Geländefahrzeugen Menschen evakuieren. Wer noch ein funktionsfähiges Fahrzeug mit starker Batterie hat, teilt seinen Standort mit und begibt sich auf die Suche nach Flüchtenden, um sie zu retten und in Sicherheit zu bringen. Muslimische Beduinen retten Juden – hier spielt die ethnische Zugehörigkeit keine Rolle mehr - Menschen retten andere Menschen und damit retten sie die Welt!

Foto ©: Christof Glätzle / PIXELIO

Donnerstag, 22. Juni 2023

Ukrainerin rettet Menschen und Tiere

Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine richtet eine Katastrophe an. Die Bekannte einer in Holzhausen lebenden Ukrainerin hilft dabei, Menschen unter Beschuss zu evakuieren.

(Video: Am Tag nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms werden Bewohner aus einem überfluteten Viertel in Cherson evakuiert. Aus die Bekannte von Anastasia, einer in Holzhausen lebenden Ukrainerin, half vor Ort.)

Es war ein Ereignis, das viele Menschen wachgerüttelt hat. Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms und die schlimmen Bilder von Überschwemmungen in der Region Cherson holten den Schrecken des Krieges in Europa auch für die Menschen in Deutschland wieder ins Bewusstsein. Die große Spenden- und Hilfsbereitschaft zu Kriegsbeginn, die in der Zwischenzeit enorm nachgelassen hat, kehrt langsam wieder zurück. Doch angesichts der großen ökologischen Katastrophe müsste es noch mehr werden, findet etwa die Friedensgruppe Siegen.

In der Region Cherson leben mehr als eine Million Menschen. Spuren der Verwüstung sieht man überall entlang des Dnjpers. Die Folgen sind verheerend. Tausende Menschen verloren ihre Heimat. Ungefähr zwei Autostunden von Cherson entfernt liegt Krywyi Rih, die Heimatstadt von Anastasia, die seit mehr als einem Jahr in Holzhausen lebt.

Anastasias Eltern sind in der 600.000-Einwohner-Stadt geblieben. Für sie hat sich die Situation enorm verschlechtert. Seit der Staudamm-Zerstörung ist das Trinkwasser gelbstichig.  Bisher war die Stadt weitgehend von Beschuss verschont geblieben. Seit mehreren Wochen schlagen regelmäßig nachts Raketen ein.

Anastasias Vater ist in der Nachbarschaft gut vernetzt. Auf einer Spazierrunde mit Hund "Pfirsich" hat er Menschen kennengelernt, die bei einer Hilfsorganisation arbeiten und insgesamt vier Personen aus den überfluteten Gebieten gerettet haben. Die Organisation aus Krywyi Rih nennt sich "Viking". In vorderster Reihe steht dort Valeria Baturko, eine ehemalige Profi-Gewichtheberin. Nur wenige Stunden nachdem der Staudamm am 6. Juni zerstört worden ist, war die 28-Jährige mit markantem Schmetterlingstatoo bereits im Überschwemmungsgebiet mitten in der Großstadt Cherson. Per Videocall berichtete sie der Siegener Zeitung, was sie an diesem Tag erlebt hat. Anastasia übersetzt aus dem Ukrainischen ins Deutsche.

"Wir sind schon früh morgens nach Cherson aufgebrochen. Da sahen wir schon Wassermassen, wo vorher noch Felder waren", erzählt Baturko. Während der Autofahrt organisierte sie ein Boot, mit dem die 28-Jährige, ihr Mann und weitere Helfer Menschen aus den überfluteten Gebieten evakuierten. In Cherson habe das Wasser mehr als vier Meter hoch gestanden, sagt Baturko. Zweistöckige Hochhäuser waren komplett unter Wasser.

(Foto: Valeria Baturko)

Die Situation vor Ort war alles andere als einfach - und gefährlich. Das Stadtgebiet links des Dnjepers ist von Russland okkupiert. Andere Teile der Stadt sind von der Ukraine zurückerobert worden. "Als wir evakuiert haben, hörten wir Schüsse. Es sind sogar Leute auf den Booten verletzt worden", sagt Baturko.

Wieso hat sie sich diesen Gefahren ausgesetzt? "Ich hätte nie gedacht, dass ich hier bleiben würde, sollte mal Krieg ausbrechen. Aber am 22. Februar letzten Jahres war mir sofort klar, dass ich helfen will - helfen muss", sagt die Sportlerin. In den weiteren Tagen nach der Staudamm-Flut kam Viking immer wieder nach Cherson. "Die Menschen waren da schon evakuiert. Doch ganz viele haben ihre Tiere zurückgelassen", berichtet Baturko. Die Helfer brachten also Transportboxen mit und holten bis heute 38 Hunde und Katzen aus dem Überschwemmungsgebiet.

Baturko erinnert sich an eine Situation, als sie und ihr Team eigentlich Tiere aufspüren sollten, dann aber eine blinde Frau aus einem mehrstöckigen Haus rufen hörten. Sie wollte ihre zehn Katzen und ihren Dackel nicht zurücklassen. Mit einer improvisierten Rutsche aus dem Fenster holte Baturkos Mann die Blinde aus dem Gebäude. Ihren Dackel wollte die Frau dabei nicht aus dem Arm geben.

Mittlerweile ist sie bei Verwandten untergebracht. Den Dackel hat sie behalten. Die zehn Katzen sind an neue Besitzer vermittelt worden.

Rund zwei Wochen nach der Katastrophe steht das Wasser in Cherson immer noch einen halben Meter hoch. Rund 1,5 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche in der Region droht die Verwüstung, weil das Bewässerungssystem zerstört ist. Vielerorts gibt es kein Trinkwasser mehr. Menschen, die in den Kommunen rund um den leergelaufenen Dnjeper Stausee leben, müssen täglich ihren Ausweis vorzeigen, um eine Tagesration von zwei Litern Wasser zu bekommen.

Da werden Feuchttücher oder haltbare Lebensmittel, die man nicht mit Wasser waschen oder zubereiten muss, plötzlich extrem wichtig. Ebenso wie Tabletten zur Wasserentgiftung oder Medikamente gegen Durchfall und Erbrechen.

Unterstützung in dieser Form soll es auch aus Siegen geben. Die Friedenstruppe arbeitet im Moment wieder daran, einen Transporter zu organisieren und voll zu machen.

Wie die Vorsitzende Tatyana Pankowska berichtet, gehe das natürlich schneller, wenn die Spendenbereitschaft steigt, Die Sammelstelle der Friedensgruppe (Marienhütte 8) nimmt mittwochs (12-16 Uhr) und freitags (8-12) Hilfsgüter entgegen.

Dieser Artikel stammt von Nico Tielke und erschien am 21.06.2023 in der Siegener Zeitung.

Freitag, 24. Februar 2023

Die Oma ist schwer krank: Anastasia aus Holzhausen kehrt nach einem Jahr in die Ukraine zurück

Am 24. Februar 2022 begann der Krieg in der Ukraine durch eine vom russischen Präsidenten Putin befohlene Invasion. Es geschah also genau heute vor einem Jahr. Viele sind seitdem aus der Ukraine geflüchtet, einige haben inzwischen in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Die Siegener Zeitung hat über eine junge Frau aus der Ukraine im Mai 2022 einen Artikel geschrieben, die in unserem Haus lebt. Nun wollte der Reporter Nico Tielke wissen, wie es ihr inzwischen ergangen ist. Da sie vor kurzem zum ersten Mal seit ihrer Flucht wieder für einige Tage ihre Heimat besucht hatte, gab es erneut einiges zu berichten. Hier der Artikel in der Siegener Zeitung:

Zu Oma Ljubov hat die in Holzhausen lebende Anastasia ein ganz besonderes Verhältnis: Die 74-Jährige hat ihre Enkelin erzogen, weil Mama und Papa arbeiten mussten. Jetzt kam die Schock-Diagnose Krebs. Anastasia machte sich auf den Weg ins Kriegsgebiet, um ihre Großmutter noch mal zu sehen.

Anastasia lebt seit fast einem Jahr in Holzhausen. Nach Ausbruch des Krieges ist die Deutsch-Studentin auf Drängen ihrer Eltern aus der Ukraine geflohen. Seitdem ist sie bei Udo Michaelis und Carmen Waßer-Michaelis untergekommen. Und die 23-Jährige ist angekommen in Deutschland. Anastasia hat einen Job in der Kinderbetreuung an der Offenen Ganztagsschule in Burbach gefunden und wird bald eine eigene Wohnung in Holzhausen beziehen.

Der Darmkrebs ist schon weit fortgeschritten

Im Januar bekam Anastasia aber eine schlimme Nachricht aus ihrer Heimat. Ihre Eltern erzählten am Telefon, dass bei Oma Ljubov Darmkrebs diagnostiziert wurde. Die Ärzte machen keine Illusionen. Der Krebs ist so weit fortgeschritten, dass kaum Chancen auf Heilung bestehen.

Für Anastasia natürlich ein Riesenschock. „Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meiner Oma. Sie hat mich quasi erzogen, weil meine Eltern viel arbeiten mussten.“ Dass Kinder mehr Zeit mit ihren Großeltern verbringen als mit den eigenen Eltern, sei in der Ukraine nicht selten, sagt Anastasia.


(Foto: Ein inniges Verhältnis: Anastasia verbrachte in ihrer Jugend viel Zeit mit ihrer Oma.)

Mit dem Hilfstransport ging es in die Ukraine

Für Anastasia war sofort klar: Sie will ihre Oma noch mal besuchen. Sie will zurück in ihr seit einem Jahr vom Krieg geplagtes Heimatland gehen. Ihre Gasteltern unterstützten sie bei diesem „Herzenswunsch“. Carmen Waßer-Michaelis stellte über Bekannte einen Kontakt zu Eduard von der Bibelmission her. Eduard ist im vergangenen Jahr schon zehnmal mit einem Hilfstransport in die Ost-Ukraine gefahren. Er sagte zu, Anastasia auf seiner nächsten Fahrt mit nach Kiew zu nehmen.

(Foto: Kurz vor der Abfahrt: Udo Michaelis aus Holzhausen brachte Anastasia zum Transporter von Eduard. Noch wohnt Anastasia bei Michaelis und seiner Frau im Haus. Im Mai wird sie in eine eigene Wohnung ziehen.)

Noch im Januar ging es los. 30 Stunden dauerte die Fahrt nach Kiew. Von dort hat sich die 23-Jährige übers Internet eine Fahrt in ihren Heimat Ort Krywyi Rih organisiert. Bis dorthin sind es weitere acht Stunden. Anastasias Eltern waren von dem geplanten Besuch nicht begeistert, schließlich hätten sie ihre Tochter gern weiterhin im sicheren Deutschland gewusst.


Ankunft in Kiew: kein Strom, aber „es war okay“

Wie war es für Anastasia, wieder in die Ukraine zu kommen? „Also ich war moralisch darauf gefasst, hier vieles nicht wiederzuerkennen. Aber als ich in Kiew ankam, war das wirklich okay“, sagt die 23-Jährige. Allerdings war es schon komisch zu sehen, dass in Kiew in den Abendstunden alles dunkel war. „Es gab keinen Strom. Die Straßenbeleuchtung war ausgeschaltet, und auch in den Fenstern brannte kein Licht.“


Zurück in Krywyi Rih: keine Spuren der Zerstörung

Nach einer Nacht in den Räumlichkeiten der Bibelmission ging es weiter. Vorher hatte sich Anastasia ein bisschen Sorgen gemacht, wie sich ihr Heimatort verändert haben könnte. Doch es war alles in Ordnung. Es habe im vergangenen Jahr zwar vereinzelt Raketeneinschläge gegeben. Doch wirkliche Spuren der Zerstörung entdeckte Anastasia in Krywyi Rih nicht. Richtig emotional wurde es dann in ihrem Elternhaus. Anastasias Eltern hatten der Oma nicht gesagt, dass die in Deutschland lebende Enkelin zu Besuch kommt.

(Foto: In diesem Haus in Krywyi Rih leben Anastasias Eltern gemeinsam mit der Oma. Ljubov ist die Mutter von Annies Vater.)


Überraschte Oma freut sich riesig

Als Anastasias Vater seine Tochter in Empfang genommen hatte, klingelte er in der gemeinsamen Wohnung. Oma Ljubov öffnet immer die Tür. Sie lässt dann den Hund nach draußen und wartet, bis der Vierbeiner die Treppen wieder hochgeschossen kommt. Statt des Hundes erschien aber plötzlich die seit einem Jahr nicht gesehene Enkelin. Die Freude war riesig.





Anastasia und Ljubov kochen gemeinsam

Wir haben den ganzen Abend nur in der Küche gesessen und uns einfach gefreut. Keiner hat geredet. Ich war zu Hause, aber das war irgendwie ganz anders“, sagt Anastasia. In den folgenden fünf Tagen verbrachte die Enkeltochter viel Zeit mit ihrer Oma. Die 74-Jährige hat lange Zeit ihres Lebens als Köchin gearbeitet. Deshalb war klar, dass die beiden gemeinsam Vareniki machen würden. Vareniki sind gefüllte Teigtaschen (häufig mit Kartoffeln). Ein Nationalgericht in der Ukraine.

(Foto: Den Teig für die Vareniki haben Oma und Enkelin selbst gemacht. Die Taschen werden üblicherweise mit einer Kartoffelmasse gefüllt und nach dem Kochen mit Schmand gegessen.)


Oma und Enkelin sprechen nicht über die Krankheit

Für Anastasia war es erschreckend zu sehen, wie viel ihre Oma abgenommen hat. Doch sie sprach Ljubov nicht auf ihre Krankheit an. Manchmal musste sie ihr aber sagen: „Leg dich doch mal auf die Couch und ruh dich aus.“ Denn wie sie es immer gewohnt war, wollte die Oma ihre Enkelin und die ganze Familie umsorgen.

Nach einer kurzen, aber intensiven Zeit, in der sie auch ein paar Freunde wiedergetroffen hat, ging es für Anastasia dann wieder zurück. Eduard sammelte sie in Kiew wieder ein und brachte sie sicher zurück in den Hickengrund.

(Foto: Anastasias Eltern arbeiten in einer Stahlfabrik. Sie wollten ihre Tochter, als der Krieg ausbrach, in Sicherheit wissen und ermutigten sie dazu, nach Deutschland zu gehen.)

Einige Ukrainer, die ebenfalls in Holzhausen untergekommen waren, sind zurück in die Ukraine gegangen. Das kann Anastasia nicht verstehen. „Es ist doch immer noch Krieg.“ Sie ist froh, dass sie ihre Oma noch mal besuchen konnte. Die 23-Jährige ist aber auch glücklich darüber, wieder in Deutschland zu sein. Wann sie das nächste Mal in ihre Heimat fahren wird, weiß Anastasia noch nicht.

Dienstag, 21. Juni 2022

Die Siegener Zeitung berichtet über unsere Arbeit

Ein Reporter der Siegener Zeitung hat ein Interview mit uns geführt und am 28.05.2022 erschien folgender Artikel in der Zeitung:

Blogger erzählt Geschichte von Geflüchteten

Udo Michaelis schreibt gern. Er ist Buchautor und betreibt seit 2008 einen eigenen Blog. Darauf dreht es sich um Glück im Leben, um Erfolg und um Persönlichkeitsentwicklung. Der 64-jährige führte Interviews mit Menschen, die ihn faszinierten. Schrieb darüber, wie man sich verhalten sollte, um Beziehungsstress zu vermeiden. Über Vertrauen, positive Gedanken oder Rechthaberei. In der letzten Zeit war das Hobby etwas eingeschlafen. Doch nach fünf Jahren Pause erscheinen wieder Geschichten. Wie kam es dazu?

Der Holzhausener und seine Frau haben in den vergangenen Monaten einiges für Geflüchtete aus der Ukraine geleistet. Ganz viele Menschen aus dem Kriegsgebiet fanden auch dank Udo Michaelis und Carmen Wasser-Michaelis eine Unterkunft in der Region. Mehr als 30 Personen hat das Ehepaar an Privatleute in Holzhausen vermittelt. Über die Geflüchteten schrieb Udo Michaelis in seinem Blog. Er wollte die Geschichte der Menschen erzählen, die ihr gewohntes Leben wegen des Krieges aufgeben mussten und sich auf den Weg in ein fremdes Land machten. "So kam die ganze Sache wieder in Gang", sagt Michaelis. "Ich habe jetzt den Plan, so lange über die Menschen zu schreiben, wie der Krieg in der Ukraine dauert."

Dass das Holzhausener Ehepaar plötzlich Vermittler wurde, war eigentlich Zufall. Alles fiel in eine Zeit, als die beiden wegen einer Corona-Infektion zu Hause bleiben mussten. Carmen Wasser-Michaelis bekam mit, dass der Heimatverein Achenbach Möglichkeiten zur Unterbringung geschaffen hat. Eine Bekannte suchte einen Platz für aus der Ukraine geflüchtete Nigerianer. Die Holzhausenerin stellte den Kontakt her. Die Menschen wurden versorgt. Plötzlich war die Familie Michaelis Schnittstelle zwischen Flüchtlingshelfern in Köln und dem Achenbacher Heimatverein. Das sprach sich rum.

Kurz darauf wurde Carmen Michaelis von einer Susanne Schmidt angeschrieben. Die heißt eigentlich Viktoria, kommt aus Russland und half Ukrainerinnen und Ukrainern dabei, einen Platz in Deutschland zu finden, noch bevor diese sich auf den unsicheren Weg machen.

"Diese Viktoria rief mich an: Sie haben Wohnungen - kann ich Ihre Nummer weitergeben? Dann ging es Schlag auf Schlag", sagt Carmen Wasser-Michaelis. Nachrichten erreichten die Holzhausenerin von Ukrainern über die verschiedensten Messenger. WhatsApp, Telegramm, Signal und Co, spielen bei der Fluchtorganisation eine große Rolle. Als alle Plätze in Achenbach belegt waren, fragte die Familie im Ort nach. "Hier war eine große Offenheit. Alle, die helfen wollten und konnten, haben geholfen. Jetzt kommt aber leider nichts mehr", sagt Udo Michaelis.

Eigentlich nach Siegen vermittelt werden sollte die 22-jährige Anastasia. Sie kommt aus Krywyi Rih, der Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodimyr Selensky. Dort studierte sie Deutsch. Anastasias Vater, ein ehemaliger Unteroffizier, erkannte, wie gefährlich es im Land wird. Er wollte seine Tochter in Sicherheit wissen und schickte sie nach Deutschland. Sie dachte zunächst gar nicht daran, ihre Heimat zu verlassen. Ist aber doch letztlich froh, hier zu sein. Weil es weitergeht mit ihrem Studium. Und weil sie bei Udo und Carmen untergekommen ist. Dort sollte Anastasia nach ihrer Ankunft nur eine Nacht bleiben - doch die Chemie stimmte. Woanders hin wollte sie nicht mehr.

"Für uns ist Annie ein echter Glücksfall", sagt Udo Michaelis. Dadurch, dass sie so gut Deutsch spricht, hat sie schon vielen Geflüchteten in Holzhausen helfen können. Neben ihrem Studium in Siegen unterrichtet die 22-jährige auch selbst in einer Willkommensklasse in der Grundschule Burbach. Wenn dann noch Zeit ist, hilft Annie ihrem Gastvater auch noch beim Blog. Sie selbst hatte nämlich die Idee, die Geschichten über die Geflüchteten ins Russische zu übersetzen. So können es auch die Menschen in der Ukraine, in Belarus, Kasachstan oder Georgien lesen. Udo Michaelis erzählt auf seinem Blog übrigens auch die Geschichte von Anastasia. Zum Artikel geht es hier:

Dienstag, 3. Mai 2022

Wer bin ich?

Wer bin ich? Die Frage stelle ich mir immer wieder und wieder. 

Ich wurde in der Hauptstadt der Westukraine, einer schönen und kulturrreichen Stadt der Löwen, Lwiw geboren und bin auch dort aufgewachsen. Lwiw ist nicht nur für seinen Kaffee, Schokolade und Bier bekannt, sondern auch für die vielseitige Architektur aus den Epochen Renaissance, Barock, Klassizismus und Jugendstil, sowie auch eine vielseitige Kultur. Lwiw war im Laufe der Jahre meistens von den dritten Parteien besetzt: Polen, Ostpreußen, deutscher NS-Regierung und der Sowjetunion und gehörte nur am Anfang sowie in der neusten Geschichte der Ukraine alleine. Als kulturelles Zentrum war die Stadt auch der Geburtsort der nationalistischen ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung UPA des 20. Jahrhunderts, geleitet von Bandera.

Meine Mutter kommt aus Russland, aus dem Ural. Sie hat meinen Vater in Sankt-Petersburg bei ihrem ersten Arbeitsprojekt kennengelernt. Sie haben geheiratet und sind beide in die Ukraine zu der Mutter meines Vaters gefahren. Während der Zeiten der Sowjetunion war die Politik des Staates, das ganze Volk zu durchmischen: Die Ukrainer wurden nach Moskau oder noch mehr nach Osten fürs Studium oder für die Arbeit geschickt, die Russen dagegen kamen oft in die Ukraine. Das Ziel der Politik war eine homogene sowjetische Nation zu erschaffen.

Die Verwandten meiner Mutter wohnten später im Süden des europäischen Landes, ein paar Stunden entfernt von der Krim‘schen Halbinsel am Asov’schen Meer. Dort verbrachten wir unsere Sommerferien.

„Wo wohnst du jetzt, Mädchen?“ – fragten die Nachbarn meine Mutter.

„In Lwiw.“

„Oh, du hast wohl einen Banderеn geheiratet.“ 

„Scheint so.“ – lächelte meine Mutter zurück.

In Russland waren wir die nationalistischen Banderen.



Im Laufe der Jahre offenbarte uns meine Oma in der Ukraine, dass sie eine Deutsche sei. Sie hat es jahrzehntelang niemanden erzählt. Sie hatte Angst. Sie sprach weder von Krieg, von dem Arbeitslager in Russland, noch von ihrer großen Familie, die sie mit 17 Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Bis zu einem Tag: Nach 55 Jahren Stille hat sie ihre Familie in Deutschland gefunden. Wäre sie früher auf die Suche gegangen, hätte sie noch ihre Mutter lebend gesehen…

Ab diesem Zeitpunkt änderte sich unser ganzes Leben. Die Nachricht über diese Offenbarung erreichte innerhalb von wenigen Tagen jeden aus unserer Umgebung.

Ein paar Tage später wurde ich von einigen Mitschülern mit „Heil Hitler!“ begrüßt.

Dann kamen wir nach Deutschland… 

Aus Solidarität für mein Heimatland bin ich mehreren ukrainischen Vereinen beigetreten. Ich merkte jedoch schnell, dass ich die Werte dieser Gruppen nicht vertreten konnte. Sie sprachen öfter verachtend über Russen, aber wie konnte ich es mir anhören, wenn meine Mutter aus Russland kam. Sie kritisierten mich dafür, dass ich auf Deutsch und nicht Ukrainisch geschrieben habe. Sie lachten über meinen Pazifismus und über meinen Aufruf, die Mehrsprachigkeit als Talent und Bereicherung, anstatt als ein Hindernis und einen Diskriminierungsvorwand zu sehen. Ich verließ die Gruppe, ohne zurückzublicken.

Wer bin ich nun? 


Dr. Julia Tschirka

Fotografie auf IG: https://www.instagram.com/julia_tschirka/

Mehr Geschichten hier: https://www.story.one/u/dr.-julia-tschirka-26579


Montag, 2. Mai 2022

Mit einem guten Netzwerk Menschen retten

Wir durften bereits für mehrere hundert ukrainische Flüchtlinge Unterkünfte organisieren, sie mit dem Nötigsten versorgen und ihnen zum Teil auch schon Arbeitsplätze vermitteln. Das alles wäre ohne ein gutes Netzwerk nicht möglich. Wir sehen uns in unserem Netzwerk als Schnittstelle: Auf der einen Seite stehen die Flüchtlingshelfer, die den Kontakt zwischen den Flüchtlingen und uns herstellen. Die andere Seite sind die Gastgeber, die ihre Wohnungen und Häuser zur Verfügung stellen. Hier spielt unsere Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Siegen-Achenbach eine große Rolle, die eine hervorragende Arbeit machen. Sogar im Fernsehen wurde über den Heimatverein berichtet.