Am 24. Februar 2022 begann der Krieg in der Ukraine durch eine vom russischen Präsidenten Putin befohlene Invasion. Es geschah also genau heute vor einem Jahr. Viele sind seitdem aus der Ukraine geflüchtet, einige haben inzwischen in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Die Siegener Zeitung hat über eine junge Frau aus der Ukraine im Mai 2022 einen Artikel geschrieben, die in unserem Haus lebt. Nun wollte der Reporter Nico Tielke wissen, wie es ihr inzwischen ergangen ist. Da sie vor kurzem zum ersten Mal seit ihrer Flucht wieder für einige Tage ihre Heimat besucht hatte, gab es erneut einiges zu berichten. Hier der Artikel in der Siegener Zeitung:
Zu Oma Ljubov hat die in Holzhausen lebende Anastasia ein ganz besonderes Verhältnis: Die 74-Jährige hat ihre Enkelin erzogen, weil Mama und Papa arbeiten mussten. Jetzt kam die Schock-Diagnose Krebs. Anastasia machte sich auf den Weg ins Kriegsgebiet, um ihre Großmutter noch mal zu sehen.
Anastasia lebt seit fast einem Jahr in Holzhausen. Nach Ausbruch des Krieges ist die Deutsch-Studentin auf Drängen ihrer Eltern aus der Ukraine geflohen. Seitdem ist sie bei Udo Michaelis und Carmen Waßer-Michaelis untergekommen. Und die 23-Jährige ist angekommen in Deutschland. Anastasia hat einen Job in der Kinderbetreuung an der Offenen Ganztagsschule in Burbach gefunden und wird bald eine eigene Wohnung in Holzhausen beziehen.Der Darmkrebs ist schon weit fortgeschritten
Im Januar bekam Anastasia aber eine schlimme Nachricht aus ihrer Heimat. Ihre Eltern erzählten am Telefon, dass bei Oma Ljubov Darmkrebs diagnostiziert wurde. Die Ärzte machen keine Illusionen. Der Krebs ist so weit fortgeschritten, dass kaum Chancen auf Heilung bestehen.
Für Anastasia natürlich ein Riesenschock. „Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meiner Oma. Sie hat mich quasi erzogen, weil meine Eltern viel arbeiten mussten.“ Dass Kinder mehr Zeit mit ihren Großeltern verbringen als mit den eigenen Eltern, sei in der Ukraine nicht selten, sagt Anastasia.
(Foto: Ein inniges Verhältnis: Anastasia verbrachte in ihrer Jugend viel Zeit mit ihrer Oma.)
Für Anastasia war sofort klar: Sie will ihre Oma noch mal besuchen. Sie will zurück in ihr seit einem Jahr vom Krieg geplagtes Heimatland gehen. Ihre Gasteltern unterstützten sie bei diesem „Herzenswunsch“. Carmen Waßer-Michaelis stellte über Bekannte einen Kontakt zu Eduard von der Bibelmission her. Eduard ist im vergangenen Jahr schon zehnmal mit einem Hilfstransport in die Ost-Ukraine gefahren. Er sagte zu, Anastasia auf seiner nächsten Fahrt mit nach Kiew zu nehmen.
(Foto: Kurz vor der Abfahrt: Udo Michaelis aus Holzhausen brachte Anastasia zum Transporter von Eduard. Noch wohnt Anastasia bei Michaelis und seiner Frau im Haus. Im Mai wird sie in eine eigene Wohnung ziehen.)
Noch im Januar ging es los. 30 Stunden dauerte die Fahrt nach Kiew. Von dort hat sich die 23-Jährige übers Internet eine Fahrt in ihren Heimat Ort Krywyi Rih organisiert. Bis dorthin sind es weitere acht Stunden. Anastasias Eltern waren von dem geplanten Besuch nicht begeistert, schließlich hätten sie ihre Tochter gern weiterhin im sicheren Deutschland gewusst.
Ankunft in Kiew: kein Strom, aber „es war okay“
Wie war es für Anastasia, wieder in die Ukraine zu kommen? „Also ich war moralisch darauf gefasst, hier vieles nicht wiederzuerkennen. Aber als ich in Kiew ankam, war das wirklich okay“, sagt die 23-Jährige. Allerdings war es schon komisch zu sehen, dass in Kiew in den Abendstunden alles dunkel war. „Es gab keinen Strom. Die Straßenbeleuchtung war ausgeschaltet, und auch in den Fenstern brannte kein Licht.“
Zurück in Krywyi Rih: keine Spuren der Zerstörung
Nach einer Nacht in den Räumlichkeiten der Bibelmission ging es weiter. Vorher hatte sich Anastasia ein bisschen Sorgen gemacht, wie sich ihr Heimatort verändert haben könnte. Doch es war alles in Ordnung. Es habe im vergangenen Jahr zwar vereinzelt Raketeneinschläge gegeben. Doch wirkliche Spuren der Zerstörung entdeckte Anastasia in Krywyi Rih nicht. Richtig emotional wurde es dann in ihrem Elternhaus. Anastasias Eltern hatten der Oma nicht gesagt, dass die in Deutschland lebende Enkelin zu Besuch kommt.
(Foto: In diesem Haus in Krywyi Rih leben Anastasias Eltern gemeinsam mit der Oma. Ljubov ist die Mutter von Annies Vater.)
Überraschte Oma freut sich riesig
Als Anastasias Vater seine Tochter in Empfang genommen hatte, klingelte er in der gemeinsamen Wohnung. Oma Ljubov öffnet immer die Tür. Sie lässt dann den Hund nach draußen und wartet, bis der Vierbeiner die Treppen wieder hochgeschossen kommt. Statt des Hundes erschien aber plötzlich die seit einem Jahr nicht gesehene Enkelin. Die Freude war riesig.
Anastasia und Ljubov kochen gemeinsam
„Wir haben den ganzen Abend nur in der Küche gesessen und uns einfach gefreut. Keiner hat geredet. Ich war zu Hause, aber das war irgendwie ganz anders“, sagt Anastasia. In den folgenden fünf Tagen verbrachte die Enkeltochter viel Zeit mit ihrer Oma. Die 74-Jährige hat lange Zeit ihres Lebens als Köchin gearbeitet. Deshalb war klar, dass die beiden gemeinsam Vareniki machen würden. Vareniki sind gefüllte Teigtaschen (häufig mit Kartoffeln). Ein Nationalgericht in der Ukraine.
(Foto: Den Teig für die Vareniki haben Oma und Enkelin selbst gemacht. Die Taschen werden üblicherweise mit einer Kartoffelmasse gefüllt und nach dem Kochen mit Schmand gegessen.)
Oma und Enkelin sprechen nicht über die Krankheit
Für Anastasia war es erschreckend zu sehen, wie viel ihre Oma abgenommen hat. Doch sie sprach Ljubov nicht auf ihre Krankheit an. Manchmal musste sie ihr aber sagen: „Leg dich doch mal auf die Couch und ruh dich aus.“ Denn wie sie es immer gewohnt war, wollte die Oma ihre Enkelin und die ganze Familie umsorgen.
Nach einer kurzen, aber intensiven Zeit, in der sie auch ein paar Freunde wiedergetroffen hat, ging es für Anastasia dann wieder zurück. Eduard sammelte sie in Kiew wieder ein und brachte sie sicher zurück in den Hickengrund.
(Foto: Anastasias Eltern arbeiten in einer Stahlfabrik. Sie wollten ihre Tochter, als der Krieg ausbrach, in Sicherheit wissen und ermutigten sie dazu, nach Deutschland zu gehen.)
Einige Ukrainer, die ebenfalls in Holzhausen untergekommen waren, sind zurück in die Ukraine gegangen. Das kann Anastasia nicht verstehen. „Es ist doch immer noch Krieg.“ Sie ist froh, dass sie ihre Oma noch mal besuchen konnte. Die 23-Jährige ist aber auch glücklich darüber, wieder in Deutschland zu sein. Wann sie das nächste Mal in ihre Heimat fahren wird, weiß Anastasia noch nicht.
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